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Frauenkampf

Aufruf zum Tag gegen Gewalt an Frauen

Was ist Gewalt und wo beginnt sie?

Wusstest du, dass laut einer Plan International Umfrage aus diesem Jahr 70% der Mädchen* und jungen Frauen* in Deutschland bereits in den sozialen Netzwerken beleidigt, bedroht oder diskriminiert wurden? 60% der in Deutschland lebenden Frauen wurden schon einmal sexuell belästigt, oft geschieht dies im öffentlichen Raum wie der U-Bahn, im Gedränge auf der Straße oder in Kneipen. Wusstest du, dass etwa jede vierte Frau von häuslicher Gewalt betroffen ist und im Jahr 2019 statistisch betrachtet an fast jedem dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners oder Ex-Partners gestorben ist?

Diese Zahlen sind erschreckend. Vielleicht hast du oder eine Frau in deinem Umfeld so etwas auch schon erlebt? Das wäre nicht ungewöhnlich, denn all diese Beispiele sind Formen der Gewalt gegen Frauen, die alltäglich vorkommen. Sie sind strukturell in unserer Gesellschaft verankert und betreffen potenziell alle Frauen.

Wo beginnt die Gewalt an Frauen?

Geschlechtsspezifische Gewalt hat viele Gesichter und kann klein anfangen, zum Beispiel durch misogyne und sexistische Sprüche oder Witze. Oder ungewollte Berührungen auf der Tanzfläche und in der Bahn.

Bestimmt ist dir so etwas auch schon passiert. Ein Fremder hat dir auf der Straße nachgepfiffen. Du wurdest im Internet sexistisch beleidigt. Du hast aufgehört zu zählen, wie oft ein Mann dich berührt hat, obwohl du es nicht wolltest. Dies ist die alltägliche Gewalt, die Frauen erfahren. Dadurch, dass sie alltäglich ist, nehmen wir sie, obwohl sie uns verletzt, oft nicht mehr als Gewalt wahr. Wir integrieren die damit verbundenen Ängste und Verletzungen so sehr in unseren Alltag, dass sie uns oft als naturgegeben erscheint und wir sie nicht mehr hinterfragen.

Welche geschlechtsspezifischen Gewaltformen existieren?

Wir unterscheiden drei Hauptformen von Gewalt an Frauen – körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt:

Körperliche Gewalt

z.B.: Ohrfeigen, Stöße, Schläge, Brüche und Wunden, Tötungen (Femizide), usw.

Hierzu gehören spezifische Formen, die wir noch einmal kurz ausführen wollen:

Femizide (oder Feminizide): Frauen und Mädchen werden, unter verschiedenen Rechtfertigungen, aufgrund ihres Geschlechts ermordet. In den meisten Fällen ist der Täter der Partner oder ein Ex-Partner. Die Hauptgründe für diese Morde sind Wut, Hass, Eifersucht, Frauenfeindlichkeit und vor allem die Vorstellung, dass der Mann die Partnerin besitzen könnte und daher entscheiden kann, dass sie ohne ihn nicht mehr zu leben bräuchte.

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM): Frauen und Mädchen werden gegen ihren Willen teilweise oder komplett die äußeren Geschlechtsteile entfernt. Damit soll die Sexualität und der Körper der Frau kontrolliert werden. Obwohl diese Praktik in vielen Ländern auf der Welt verboten ist, wird sie immer noch durchgeführt, auch hier bei uns in Deutschland.

Sexualisierte Gewalt

z.B.: Angrabschen, unerwünschte Küsse, heimliches abziehen des Kondoms, unerwünschter und erzwungener Geschlechtsverkehr (Vergewaltigung), Upskirting (heimliches Fotografieren unter den Rock), Prostitution, usw.

Hierzu gehört eine spezifische Form, die wir noch einmal kurz ausführen wollen:

Sexualisierte Cyber-Gewalt (im Internet): Wenn Mädchen und Frauen von Fremden oder Bekannten manipuliert werden, um erotische oder nackte Bilder von sich zu versenden, manchmal auch mit Erpressung vom Täter. Unerwünschte Penis Bilder oder Pornographische Inhalte zu bekommen gehört auch zu dieser spezifischen Form von sexualisierter Gewalt.

Psychische Gewalt

z.B.: Beleidigungen, Einschüchterungen, Stalking (wiederholtes erzwingen von Kontakt), usw.

Hierzu gehören spezifische Formen, die wir noch einmal kurz ausführen wollen:

Isolation: In streng patriarchalen Haushalten werden Frauen und Mädchen verboten, das Haus zu verlassen, Kontakte zu anderen Menschen werden stark eingeschränkt, kontrolliert oder ganz unterbunden.

Ökonomische Gewalt: Frauen und Mädchen leben in der Familie häufig in finanzieller Abhängigkeit zum Familienoberhaupt. Männer können hierzu ihre eigene ökonomische Überlegenheit, z.B. aufgrund des besseren Verdienstes und der oft besseren Stellung durch Seilschaften, zur Ausübung von Kontrolle nutzen. Frauen wird hierbei oft mit der Begründung der Mutterschaft die Ausübung eines eigenen Berufes ausgeredet oder sie über die Führung eines gemeinsamen Bankkontos kontrolliert und eingeschränkt.

Gibt es Überschneidungen?

Ja, es existieren zahlreiche Gewaltsarten, die sich überschneiden. Zum Beispiel:

– Die Häusliche Gewalt umfasst alle drei Hauptformen von Gewalt zwischen Personen, die zusammen wohnen und in einer Beziehung sind. Der Ort des Geschehens kann auch außerhalb der Wohnung liegen, z. B. Straße, Geschäft und Arbeitsstelle, häufig ist jedoch die Wohnung selbst der Tatort. In meisten Fälle findet diese Gewalt in heterosexuelle Paare und wird von dem Mann über die Frau ausgeübt.

 Prostitution und die weibliche Genitalverstümmelung stellen eine Überschneidung rein körperlicher und sexualisierter Gewalt dar.

Cyber-Gewalt kann sowohl sexualisiert als auch rein psychisch sein. Und obwohl sie digital stattfinden, ist sie sehr reell und kann körperliche und psychische Auswirkungen haben (Stress und Depressionen bin hin zum Selbstmord).

Wie verbreitet ist Gewalt an Frauen?

Völlig exakt lässt sich das natürlich nicht nachvollziehen, da es immer eine hohe Dunkelziffer gibt, da nicht jede Gewalt an Frauen öffentlich gemacht oder zur Anzeige gebracht wird. Als offizielle Zahlen listete das Bundeskriminalamt 2019 für Gewalttaten in einer Partnerschaft oder einem gemeinsamen Hausstand auf:

57.151 Frauen in Partnerschaften in Deutschland erleben Gewalt, unter anderem

  • 6.730 gefährliche Körperverletzung
  • 170 Mord und Totschlag
  • 1.486 sexuelle Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung
  • 7.368 Bedrohung, Stalking, Nötigung

Dieses Jahr hat die Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Spannungen (Lockdown, Kurzarbeit…) die häusliche Gewalt noch einmal verschärft. Eine repräsentative Studie der TU München kam im Sommer dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass sowohl bei Frauen als auch bei Kindern die Zahl der Betroffenen von Gewalt höher gewesen sei, wenn sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden.

Warum reden wir von struktureller Gewalt gegen Frauen?

Gewalt gegen Frauen besteht nicht nur aus Einzelfällen, sondern ist in unseren gesellschaftlichen Verhältnissen verankert. Diese Verhältnisse sind patriarchal, das heißt, sie basieren auf der Herrschaft des Mannes über die Frau. Und eben diese Männerherrschaft und der damit einhergehende Besitzanspruch gegenüber Frauen bedingt und begünstigt Gewalt gegen Frauen. Dieses patriarchale Herrschaftsverhältnis wird heute durch geschlechtsspezifische Erziehung, aber auch in den Medien, in Filmen und der Werbung permanent reproduziert und normalisiert. Dadurch erscheint es uns als natürlich, obwohl dieses Unterdrückungsverhältnis bei seiner Entstehung mit Gewalt durchgesetzt wurde und es wird nur wenig hinterfragt.

Was heißt das für dich?

– Versuche deshalb stets darauf zu achten, ob du solche Gewaltformen irgendwo wahrnimmst. Sei es an unsichere Orte, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, im Freundeskreis oder auch in der eigenen Verwandtschaft. Gewalt gegen Frauen darf nicht als natürlich hingenommen werden, sondern muss als solche benannt und gekennzeichnet werden.

– Du bist nicht alleine, wenn du Gewalt erlebt hast. Gerade auch die Statistiken zeigen es, viele Frauen erleben die eine oder andere Form der Gewalt. Wichtig ist es, dass in der Gesellschaft immer noch starke Gefühl des Schams bei Gewalt gegen Frauen und das enorme Schweigen zu durchbrechen.

– Suche Dir Hilfe bei Beratungsstellen oder Freund*innen, wenn Du selbst von solcher Gewalt betroffen bist. Wichtig ist es über solche Taten und die damit einhergehenden Erlebnisse zu sprechen, sich gegenseitig zu stärken und zu empowern.

– Lasse Dir niemals einreden, Du selbst oder andere Frauen seien selbst schuld, wenn sie solche Gewalt erleben. Nur der Täter ist daran schuld, muss als solcher benannt werden und für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Durch unsere patriarchale Gesellschaft erleben Täter oft eine Straflosigkeit oder mildernde Umstände. Deshalb ist es umso wichtiger, das Problem bei seinen Wurzeln zu packen: der Abschaffung des Patriarchats, als dieses Thema nur der Gesetzgebung zu überlassen.

– Deshalb organisiere Dich mit anderen Frauen und werde aktiv gegen Gewalt an Frauen! Das kollektive Engagement mit Nachbarinnen, Kolleginnen und Freundinnen als Frauen gibt uns Kraft, denn zusammen sind wir stärker. Um eine Gesellschaft ohne Gewalt an Frauen zu erreichen, müssen wir dem Patriarchat den Kampf ansagen und unsere kapitalistische Gesellschaft ändern.

Frauenkollektiv Stuttgart


Wir wollen der Frage wo Gewalt beginnt auch ganz praktisch hier vor Ort wo wir leben nachgehen und haben dafür eine Umfrage zu unsicheren Orten in Stuttgart und Umgebung gestartet. Diese wird noch bis Ende November laufen. Für weitere Informationen und um bei der Umfrage mitzumachen folgt dem Link oder schau auf unseren Seiten bei Facebook und Instagram vorbei:
https://www.eastside-stuttgart.org/2020/11/wo-beginnt-fuer-dich-gewalt/

Außerdem wollen wir gemeinsam am 25.11.2020, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, lautstark auf die Straße gehen. Los geht’s um 17:30 am Schlossplatz in Stuttgart.
Sei dabei!

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