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Antifa

Gegen das Vergessen – Rechtem Terror und Rechten Kontinuitäten entgegentrefen

für eine antifaschistische und solidarische Gesellschaft

Am 26. September 1980 strömten um 22:21 Uhr tausende von Menschen auf dem Nachhauseweg aus dem Hauptausgang der Wiesn. Hunderte von ihnen befanden sich an dem Platz, wo ein Sprengsatz detonierte. 8 Menschen wurden durch die Explosion sofort in den Tod gerissen – 5 weitere erlagen später ihren schweren Verletzungen im Krankenhaus. Über 200 Menschen wurden durch die Bombe verletzt, davon etliche schwer und einige verloren zum Teil Gliedmaßen. Es war und ist der folgenschwerste Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik.
Folgenreich in vielerlei Hinsicht, da er exemplarisch für den staatlichen Umgang mit einem Phänomen steht, dass gerne totgeschwiegen, verharmlost oder gar verleugnet wird – dem politischen Terror der Rechten oder auch als Rechtsterrorismus bezeichnet.
Heute erscheint das Handeln der staatlichen Akteure nach dem Attentat 1980 wie eine Blaupause für das Verhalten von Staat, Exekutive und Justiz nach rechten Anschlägen in der jüngsten Vergangenheit. Denn es ging in keinem Fall um die Opfer oder die offensichtlich gewordene Gefahr des rechten Terrors für die Zivilbevölkerung, sondern um politische Interessen, Bemühungen den bürgerlichen Staat zu legitimieren und politische Macht.

Der Bundestagswahlkampf zwischen dem bayrischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß und dem amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt war auf seinem Höhepunkt. Hauptthema beider Akteure war vor dem Hintergrund von revolteartigen Jugendbewegungen, dem Nachwehen der 68er-Bewegung und dem bewaffneten Kampf von Teilen der Linken, angeblich das Sicherheitsinteresse der Bürger*innen zu befriedigen.
Recht, Ordnung und Sicherheit waren die populistischen Schlagworte der beiden ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, die sie wiederherstellen würden, sollten sie gewählt werden.

Schon in den ersten Stunden nach dem Attentat wurde dieses von den rivalisierenden Fraktionen politisch instrumentalisiert. Rücktrittsforderungen gegen den Innenminister wurden in Stellung gebracht, linker Terror verurteilt und das Versagen der Bundesregierung attestiert. Dass hinter dem Anschlag aber ganz andere Motive steckten, wurde sehr schnell klar. Spätestens als bekannt wurde, dass es sich beim Attentäter um einen 21-jährigen handelt, das Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann war.

Die WSG Hoffmann, rechter Terror und seine staatliche Akzeptanz

1973 gründete der Nürnberger Graphiker Karl-Heinz Hoffmann die nach ihm benannte Wehrsportgruppe und schlug damit ein Kapitel auf, das mindestens 17 Menschen das Leben kostete. Darunter auch einige Mitglieder der WSG. Der Hauptzweck der Gruppe war das paramilitärische Training für eine nationale Revolution und Umsturz der Demokratie. Als historisches Vorbild diente die SA, die als militärischer Arm der NSDAP vor der Machtübergabe gesehen werden kann. Hoffmann scharte viele junge Männer in seinem Anwesen Schloss Ermreuth in der Nähe von Nürnberg um sich, das er teilweise mit Geldern aus der staatlichen Denkmalpflege finanzierte. Hier bildete der Anführer Karl-Heinz Hoffmann seine Gefolgsleute militärisch aus: Strammstehen, Marschieren, Schießen, durch den Wald robben. In Uniformen mit SS-Abzeichen. In der Hochzeit der WSG zählte die Truppe über 500 Männer und Frauen. Aufgrund dieser Dimension erscheint es als lächerlich, dass der Staat dies übersehen konnte. Bei der Person K.H. Hoffmann war es sehr klar, wessen Geistes Kind er ist und was er als politische Zielesetzung definiert. So stellte er in einem Interview mit Panorama 1974 klar: „Es wäre doch ganz einfach töricht zu leugnen, dass Adolf Hitler genial war und zweifellos sehr viele Dinge gemacht hat, wo wir heute langsam wieder draufkommen, sie wieder tun“. Mit seiner programmatischen Schrift „Manifest zur Errichtung der rational-pragmatischen Sozialhierarchie“ lies Hoffmann keine Zweifel mehr zu, dass er ein glühender Faschist und Nationalsozialist war und ist. In 19 Thesen, die eine gewisse Nähe zum 25 Punkteprogramm der NSDAP aufweisen, erörtert Hoffman sein faschistisches Weltbild. Recht des Stärkeren, Ausmerzung der Schwächeren, Abschaffung von Wahlen und die Einführung eines Führerprinzips sind nur einige Beispiele aus dem Text. Trotz dieser Programmatik konnte die WSG Hoffmann über Jahre ungehindert von Staat und Justiz ihre Struktur aufbauen. Die einzige Antwort, die es von staatlicher Seite gab, ist an Unverfrorenheit kaum zu überbieten. Die WSG wurde mit Pfadfindern verglichen oder als Spinner abgetan. Eine Organisation, die offen den politischen Umsturz und Bürgerkrieg trainiert und daraus keinen Hehl macht, in dieser Form zu verharmlosen, kann nur als bewusst und vorsätzlich bewertet werden.

Vertrauen in den Staat haben wir nicht …

Dass der Staat die Existenz und seine Unterstützung von Rechtsterrorismus leugnet, hat vielschichtige Gründe. Einer ist die Wahrung der deutschen Staatsräson und der Versuch sich als besonders toleranter Staat, der aus seiner Geschichte gelernt hat, in der Weltöffentlichkeit zu präsentieren. Da passt es nicht ins Bild, dass Neonazis und Faschisten offen (Straßen-)Terror gegen vermeintliche Feinde ausüben. Da ist es doch einfacher auf das Psychologisieren von Tätern oder die EinzeltäterInnen-These zurückzugreifen und das Problem herunterzuspielen.
Gleichzeitig kommt die Durchsetzung des kompletten Staatsapparats mit Altnazis, die ihre Ansichten in diesem fleißig reproduziert haben, deutlich zum Vorschein. Plötzlich scheint der Verfassungsschutz, der BND, die Polizei oder die Bundeswehr der fruchtbare Boden für aktive Neonazis, Faschisten und ihre UnterstützerInnen zu sein. Wenn man die Geschichte dieser Institutionen genauer betrachtet, dann lässt die Verwunderung nach. So wurde beispielsweise der Inlandsgeheimdienst maßgeblich von Hubbert Schrübbers aufgebaut, der erst Oberstaatsanwalt im Naziregime war und später als Mitglied einer Polizeieinheit der SS dem Naziregime diente. Diese personelle Kontinuität zwischen dem neuen Geheimdienst und den nationalsozialistischen Polizeieinheiten war nicht die einzige. Viele der ehemaligen Gestapo-Folterer und-Mörder fanden eine neue Heimat in den Ämtern für Verfassungsschutz oder wurden als „freie“ MitarbeiterInnen über Tarnfirmen beschäftigt. So ist es nicht verwunderlich, dass die geistigen Erben sich als sogenannte V-Männer von eben diesen Inlandsgeheimdiensten beschäftigen und finanzieren lassen. Beispielsweise bestätigte das Bundesverfassungsgericht die enge Verflechtung von Verfassungsschutz und der NPD in dem Verbotsverfahren gegen die Partei. Sie stellte 2003 ein Verbotsverfahren ein, da zu viele V-Männer in der Führungsebene der Partei seien und dadurch nicht festgestellt werden kann, inwieweit die NPD unabhängig vom Verfassungsschutz agiert und ob die notwendige „Staatsferne“ der Partei besteht. Den Abzug eben dieser V-Leute verweigerte der Geheimdienst. Besonders offensichtlich wurde die Zusammenarbeit zwischen Staat und Nazis bei den Verbrechen des Terrornetzwerks NSU. So stellte sich nach der Selbstaufdeckung heraus, dass über 40 V-Männer im direkten Umfeld der NSU-MörderInnen vom Verfassungsschutz beschäftigt wurden. Ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes war sogar während der Ermordung des NSU-Opfers Halit Yozgat im selben Gebäude, wo sich die Tat ereignete. Dies sind nur zwei plakative Beispiele für die personellen und finanziellen Verstrickungen zwischen Neonazis, Faschisten und Geheimdiensten und somit auch für die offene Unterstützung des Staates von rechtem Terror. Als Reaktion auf das Bekanntwerden des Skandals, reagierten die Behörden mit dem Schreddern von belastenden Akten, mit dem Vertuschen ihrer Beteiligung, dem offenen Leugnen der Machenschaften und dem Belügen der Öffentlichkeit und der Opfer. Im Falle des Oktoberfestattentats erledigte dies der damals amtierende Generalbundesanwalt Kurt Rebmann mit den Worten „Nach ausgiebigen Ermittlungen sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das Attentat auf das Oktoberfest am 26. September 1980 die Tat eines Einzeltäters war. Gundolf Köhler aus Donaueschingen handelte aus persönlichen Motiven wie sexueller Frustration und Perspektivlosigkeit. Ein politisches Motiv konnte nicht erkannt werden. Es gibt auch keinen Hinweis auf weitere Tatbeteiligte“.

… er ist Teil des Problems

Dass sich rechter Terror wie ein roter Faden durch die bundesdeutsche Geschichte zieht und warum dieser immer wieder auf fruchtbaren Boden fällt, ist kein Zufall oder dem Handeln einzelner BehördenmitarbeiterInnen geschuldet.

Es gibt ein latentes Interesse des bürgerlichen Staates an rechten und faschistischen Bewegungen, denen die radikale Form der kapitalistischen Logik innewohnt – der Kampf aller gegen alle, der sich in abgeschwächten Formen auch im bürgerlichen Staat existent zeigt. Dass nach Vernichtung strebende Weltbild der FaschistInnen stellt „nur“ die Zuspitzung der kapitalistischen Einteilung der Menschen in „verwertbar“ und „wertlos“ dar, die nur allzu gerne auch von der selbsternannten „Mitte der Gesellschaft“ übernommen wird. So bietet sie immer wieder Schützenhilfe für Nazis und Faschisten. Rassistische Abschiebepolitik, repressive Sozialpolitik, Beteiligung an Angriffskriegen, autoritäre Lösungen für die permanente (kapitalistische-)Krise werden auch immer wieder von ihr kolportiert und bieten einen fruchtbaren Boden für das Erstarken rechter Bewegungen. Wie tief dadurch rassistische Ressentiments in der Gesellschaft verwurzelt sind, lässt sich an den Äußerungen von PolitikerInnen und ihrer Anhänger*innen aller Couleur zum Thema Migration veranschaulichen. Neonazis, institutioneller Rassismus, mediale Hetze und ideologische Brandstifter à la Höcke, Hausmann oder Palmer – alle blasen in dasselbe Horn der alltäglichen Aus- und Abgrenzung. Geflüchtete werden nicht als Menschen, sondern als gesellschaftlicher Ballast für die willkürlich konstruierte nationale Bevölkerung dargestellt und diffamiert. Statt zu versuchen eine solidarische Gesellschaft Aller zu errichten, wird das kapitalistische Konkurrenzverhältnis weiter vorangetrieben und damit rechten Ideologien weiter Vorschub geleistet. Es entsteht ein widerliches Blendwerk, um ein System, das auf Konkurrenz, Verwertung des Menschen durch den Menschen und einer mörderischen Profitlogik, von der nur wenige profitieren, aufbaut, zu verdecken und es somit um jeden Preis am Laufen zu halten.

Das Übel an der Wurzel packen – gemeinsam handeln – antifaschistisch und solidarisch

Es liegt an uns diese Verhältnisse umzuwerfen. Das bedeutet eine solidarische Organisation der Gesellschaft und internationale Solidarität, statt Standortwahn und kapitalistischer Leistungsgesellschaft als Zielsetzung zu formulieren.
Antifaschismus heißt die Zusammenhänge zu benennen und zu bekämpfen. Solange die Gesellschaft kapitalistisch organisiert ist und bleibt, so lange wird es faschistische Verbrechen als konsequente und logische Folge dieser Herrschaftsform geben. Wir müssen uns die Perspektive einer solidarischen Gesellschaft gemeinsam erkämpfen. Es geht darum einen gesellschaftlichen Prozess zu entwickeln – ein Prozess des gegenseitigen Lernens über das, was Solidarität bedeutet. Es geht um die Herausbildung von Verkehrsformen, die sich aus den Unterdrückungen und Knechtungen der Herrschenden lösen. Dabei gilt es konkrete Ansatzpunkte wie Solidarität und Kollektivität aufzubauen und erlebbar zu machen, egal ob in der Nachbarschaft, in der Schule, im Betrieb, der Familie oder den anderen Plätzen des alltäglichen Lebens. Lasst uns beginnen, gemeinsam zu handeln und der Reaktion, die auf Konkurrenz, Rassismus, Sexismus und Kapitalismus setzt, entgegentreten.

Lasst uns gemeinsam dem rechten Terror und seinen Nutznießer*innen unsere Solidarität entgegensetzen und rassistischer und antisemitischer Hetze eine Absage erteilen. Lasst uns die Geschichte, die Attentate und die Opfer nicht vergessen. Lasst uns gemeinsam aktiv werden und den Versuch wagen eine antifaschistische und solidarische Gesellschaft aufzubauen.

Zusammen Kämpfen Stuttgart

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