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Frauenkampf

Auswertung der Umfrage „Wo beginnt für dich Gewalt?“

Umfrage des Frauenkollektivs Stuttgart: Unsichere Orte aufzeigen und markieren!

Vielen Dank an alle Frauen*, die sich an der Umfrage des Frauenkollektivs Stuttgart beteiligt haben. Die Umfrage wurde nicht nach wissenschaftlichen Standards durchgeführt und gibt somit kein repräsentatives Bild für Frauen in Stuttgart wieder. Vielmehr wollten wir mit dieser Aktion zum Nachdenken anregen, dem Thema Aufmerksamkeit geben und die Frage in den Raum werfen: Warum fühlen wir uns denn an den genannten Orten unwohl? Wir wollen damit mehr an die Wurzel des Problems gehen und benennen, wo wir die Ursache für eine Vielzahl unsicherer Orte für Frauen in Stuttgart sehen. Auf diesen Punkt werden wir an anderer Stelle noch genauer eingehen.

Da die Befragung über die sozialen Medien veröffentlich wurde, haben wir hierüber einige Antworten erhalten. Ebenso führten wir die Umfrage direkt auf der Straße durch und haben Frauen auch hier nach unsicheren Orten befragt. Im Gespräch wurde deutlich, dass alle Frauen Orte kennen, an denen sie sich unsicher fühlen.

Eine konkrete Auflistung der Orte sowie Zahlen der Benennungen haben wir zum Schluss aufgeführt. Im folgenden Teil findet ihr eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit Anmerkungen von Seite des Kollektivs.

Die meisten Teilnehmerinnen* benannten jegliche Bahnhöfe, S- und U-Bahnstationen sowie verschiedene Unterführungen als unsicherster Ort. Vor allem der Hauptbahnhof und der Bahnhof in Bad Cannstatt wurden häufig erwähnt. Die befragten Frauen meiden zu Fuß, wie auch mit dem Rad das Passieren verschiedener Parks – besonders in der Dämmerung und nachts. Schlosspark und KIingenbachpark wurden darunter am häufigsten erwähnt. Aber auch größere Plätze empfinden Frauen als unsicher, allen voran der Schlossplatz mit den Nachtbushaltestellen am Abend und in der Nacht.

Interessant ist, dass das Zuhause als unsicherer Ort einmal genannt wurde. Frauen sind in vielen Haushalten und familiären Zusammenhängen vermehrt physischer, psychischer sowie sexualisierter Gewalt durch den Partner, Ehemann oder ein anderes männliches Familienmitglied ausgesetzt. So müssen Frau und Kind oft für den Mann als „Ventil“ herhalten, um mit Frustration, Stress und Kontrollverlust umzugehen. Obwohl häusliche Gewalt die häufigste Form von Gewalt gegen Frauen ist, wird darüber am wenigsten geredet. Ein schlagender Ehemann wird immer noch als „Familiensache“ und „privat“ angesehen und Scham hindert viele Frauen daran diese Übergriffe zu benennen.

Hinter dem Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum, welches viele Frauen empfinden, steckt oft die Befürchtung Gewalt zu erleben und eine stets drohende Gefahr. Hierbei muss der einzelnen Frau in ihrem Leben nicht unbedingt bereits Gewalt angetan worden sein, es ist sozusagen ein kollektives Gedächtnis, das Frauen seit ihrer Kindheit antrainiert wird. Denn Gewalt gegen Frauen ist so alltäglich und scheint einfach hingenommen zu werden, da sie zum einen nicht skandalisiert und bekämpft wird, und viel schlimmer, meist nicht einmal Beachtung findet. In der Politik wird Gewalt gegen Frauen meistens nur rund um den Tag gegen Gewalt an Frauen zur neuen Statistik des Bundeskriminalamts thematisiert, aber grundsätzliche Zusammenhänge und Gründe werden nicht angesprochen, geschweige denn angegangen zu verändern. Unserem neuen Oberbürgermeister sind die Themen Geschlechtergerechtigkeit und die Unterdrückung von Frauen z.B. so unwichtig, dass er diese in seinem Wahlprogramm nicht einmal erwähnt hat. Es ist deutlich: Wir Frauen müssen dies selbst in die Hand nehmen und aktiven Widerstand organisieren.

Seit unserer Kindheit hören wir, dass wir z. B. nicht nachts allein durch den Park laufen oder einen zu kurzen Rock tragen sollen. Das könnte nämlich nach außen hin das Bild vermitteln: „Dieser Körper ist jederzeit verfügbar“. Die Botschaft hinter solchen „Ratschlägen“ ist jedoch, dass in allen Ecken eine Gefahr lauert und wir Frauen, wenn wir solche Plätze zu bestimmten Uhrzeiten nicht meiden, auch „zum Teil selbst an Übergriffen schuld seien“. Denn warum sind wir auch so blöd und laufen nachts allein durch einen Park. Das Problem kann aber nicht das vermeintliche „Fehlverhalten“ einer Frau sein, sondern es geht doch vielmehr um das Verhalten der Täter und welchen Schutz sie durch das kollektive Wegsehen der Gesellschaft erhalten. Denn auch drei Lampen mehr im Schlosspark, mehr Videoüberwachung in Bus und Bahn oder ein Streifenwagen am Hauptbahnhof werden das Problem nicht lösen.

Wir müssen das Problem vielmehr an der Wurzel packen und die Verhältnisse hinterfragen, in denen wir tagtäglich leben. Unsere Gesellschaft und der Staat sind kapitalistisch und patriarchal – Was heißt das?

Das Patriarchat basiert auf einem System der Macht und Abhängigkeit und den festgeschriebenen Rollenbildern der Geschlechter. Frauen gelten als Opfer, sie werden als defensiv, schwach und das zu beschützende Geschlecht angesehen. Der Mann dagegen als dominant, überlegen und aggressiv. Die Herrschaft der Männer, die damit verbundene untergeordnete Rolle der Frau und die permanente gewaltvolle Unterdrückung sind so gegenwärtig, dass sie meist als naturgegeben hingenommen werden.

So ist es nicht verwunderlich, dass Frauen in der Erziehung, in den Medien und in der Rechtsprechung immer wieder auf solche Rollen verwiesen werden. Die Ergebnisse der Umfrage, gerade Antworten, wie „überall“, „dunkle Stäffele“ und „jegliche Parkhäuser“ sind ein Spiegel der patriarchalen Verhältnisse. Diese sind ebenso grundlegend dafür, wie sich Frauen im öffentlichen Raum fühlen und bewegen. Sie sind hier oft eingeschränkt, da der öffentliche Raum für Männer gemacht ist und auch von ihnen wie selbstverständlich dominiert wird. Der Ort der Frau ist nach patriarchalen Vorstellungen das Zuhause und die Familie, also der private Raum.

Wir Frauen haben aber ein Anrecht auf ein gewaltfreies Leben ohne Angst und Unterdrückung. Um die Befreiung der Frau aus diesem Zustand zu erreichen, muss das Patriarchat bekämpft werden. Dazu müssen wir Frauen uns untereinander austauschen, uns treffen und organisieren. Gemeinsam sind wir stark!

Um den Umständen entgegenzuwirken müssen wir uns zusammenschließen und uns dagegen wehren, dass wir in der Öffentlichkeit klein gehalten werden oder oft sogar unsichtbar sind. Wir möchten Räume erschaffen, in denen es keine Geschlechterhierarchien gibt und Frauen sich trauen, ja sogar gefordert werden, zu sprechen. Wir möchten ein sicheres Umfeld erleben, indem Frauen sich ermutigt fühlen ihre Komfortzone auch mal zu verlassen und daran wachsen können.

Wir möchten gemeinsam Aktionen, Kneipen und Veranstaltungen organisieren, bei denen wir nur unter Frauen sind.

Um uns Räume auch in der Öffentlichkeit zurückzuerobern, ist es wichtig sichtbar zu sein – gemeinsam in Frauengruppen Veranstaltungen zu besuchen, ins Kino zu gehen oder sich im öffentlichen Raum aufzuhalten.

Wir möchten zum Ausdruck bringen, dass wir die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft nicht akzeptieren und mit dem Finger auf die eigentlichen Probleme zeigen – nicht die Frauen müssen sich ändern, vorsichtiger sein oder besser im Kampfsport werden. Die Gesellschaft muss sich verändern.

Wir möchten uns mit anderen Frauen solidarisieren und gemeinsam gegen die Verhältnisse einstehen, die uns eigentlich unterdrücken. Es ist wichtig, dass wir laut und deutlich werden, auf unterschiedlichste Art und Weise.

Wir werden daher das Ergebnis der Umfrage, die permanent drohende Gewalt gegen Frauen und die dadurch entstehenden unsichere Orte in den öffentlichen Raum tragen. Wir möchten diese für die Gesellschaft in Stuttgart sichtbar machen.

Dazu werden wir ab Anfang 2021, die von den Frauen benannten unsicheren Orte direkt VOR ORT markieren und aufzeigen. Willst du dich auch daran beteiligen und damit ein Bewusstsein für die Unterdrückung der Frau schaffen, dich gegen diese Zustände wehren und Widerstand gegen das Patriarchat aufbauen? Im Kleinen können wir zusammen anfangen, um eine Veränderung der Gesellschaft zu erwirken. Komm zu unserem offenen Treffen am 14. Dezember 2020 oder 22. März 2021 und werde aktiv!

Frauenkollektiv Stuttgart

*Wir setzen das Wort Frau / Frauen für Personen, die sich als Frau definieren und / oder von der Gesellschaft als Frau gelesen werden und somit ähnliche Erfahrungen machen wie Frauen.


Als unsichere Orte wurden von Frauen benannt:

IIIII II Überall (wo es dunkel ist)

II jegliche Parkhäuser (auch tagsüber)

I Radtouren im Wald

I Taxi

I dunkle Stäffele

I Zuhause

IIIII IIIII III S- und U-Bahnhaltestellen + Unterführungen

IIII Bahnhof Bad Canstatt

IIIII IIIII III Hauptbahnhof

III Bahnstation Rotebühlplatz

I Haltestelle Staatsgalerie

I Olgaeck

I Charlottenplatz

IIIII III jegliche Parks (nachts vor allem)

II Klingenbachpark

IIIII IIIII Schlosspark

I Rosensteinpark

II Stadtgarten an der Uni und Holzgartenstraße

I Park am Schwabtunnel

I Wilhelmsplatz

IIII Schlossplatz mit Nachtbushaltestellen

II Ostendplatz

I Passage beim Ostendplatz

I Parkplatz hinterm Rewe am Ostendplatz

IIII Leonhardsplatz

I Polizeirevier Ostend

I Ecke Leo-Vetter-Bad

I Bergfriedhof

I Staffeln rund um das Heusteigviertel

III Innenstadt am Wochenende mit Königstraße

II Theodor-Heuss-Straße

I Altstadt

II Tankstelle Schwabstraße

I Bebelstraße/Schwabstraße

I Nätherstraße

Ausgewählte Texte