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Frauenkampf

12. Juni 2021: Wir erkämpfen uns die Stadt zurück!

Im November letzten Jahres haben wir eine Umfrage zu unsicheren Orten für Frauen* in Stuttgart durchgeführt. Ergebnisse wie S- und U-Bahnhöfe, jegliche Parks vor allem nachts oder der Schlossplatz mit den Nachtbushaltestellen haben uns nicht überrascht und noch einmal deutlich vor Augen geführt: In dieser Gesellschaft muss sich grundlegend etwas ändern!

Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft. Der öffentliche Raum ist für Männer gemacht und wird auch von ihnen wie selbstverständlich dominiert. Doch wir akzeptieren die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft nicht und werden mit dem Finger auf die eigentlichen Probleme zeigen – nicht die Frauen müssen sich ändern, vorsichtiger sein oder besser im Kampfsport werden. Die Gesellschaft muss sich verändern. Wir Frauen haben ein Anrecht auf ein gewaltfreies Leben ohne Angst und Unterdrückung.

Deshalb laden wir euch herzlich dazu ein, mit uns am Samstagnachmittag, den 12. Juni 2021 gemeinsam den Park als öffentlich Raum für uns zurück zu erkämpfen, um unsere Forderungen sichtbar zu machen und als Frauen präsent zu sein. Wir richten uns daher mit der Veranstaltung gezielt an:
*Frau / Frauen und Personen, die sich als Frau definieren und / oder von der Gesellschaft als Frau gelesen werden und somit von patriarchaler Gewalt betroffen sind.

Wer? Das Frauenkollektiv Stuttgart organisiert die Aktion zusammen mit Catcalls of Stuttgart, Queerfem Stuttgart, SDAJ Stuttgart und Zusammen Kämpfen Stuttgart

Was? Wir haben ein buntes Programm auf die Beine gestellt mit Redebeiträgen, Infotischen, Infostellwänden, Ausstellungen, einer offenen Diskussionsrunde, Mitmachaktionen und Live Musik mit Dj_ane matjes*.

Wann? Am Samstag, den 12. Juni 2021 von 14.00 bis 18.00 Uhr

14:00 Uhr Kundgebung mit Redebeiträgen
15:00 Uhr Mitmachaktion Catcalls of Stuttgart
15:45 Uhr Diskussionskreis Frauenkollektiv Stuttgart
16:30 Uhr Mitmachaktion Frauenkollektiv Stuttgart
17:00 Uhr Raum für Austausch und Musik

Wo? Vor der Lusthausruine im Schlossgarten in Stuttgart

Wir erkämpfen uns die Stadt zurück.“

Für mehr Frauen*(frei)räume

Unsichere Orte aufzeigen und markieren!

Hinter dem Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum, welches viele Frauen empfinden, steckt oft die Befürchtung Gewalt zu erleben und eine stets drohende Gefahr. Hierbei muss der einzelnen Frau in ihrem Leben nicht unbedingt bereits Gewalt angetan worden sein, es ist sozusagen ein kollektives Gedächtnis, das Frauen seit ihrer Kindheit antrainiert wird. Denn Gewalt gegen Frauen ist so alltäglich und scheint einfach hingenommen zu werden, da sie zum einen nicht skandalisiert und bekämpft wird, und viel schlimmer, meist nicht einmal Beachtung findet. In der Politik wird Gewalt gegen Frauen meistens nur rund um den Tag gegen Gewalt an Frauen zur neuen Statistik des Bundeskriminalamts thematisiert, aber grundsätzliche Zusammenhänge und Gründe werden nicht angesprochen, geschweige denn angegangen zu verändern. Unserem neuen Oberbürgermeister sind die Themen Geschlechtergerechtigkeit und die Unterdrückung von Frauen z.B. so unwichtig, dass er diese in seinem Wahlprogramm nicht einmal erwähnt hat. Es ist deutlich: Wir Frauen müssen dies selbst in die Hand nehmen und aktiven Widerstand organisieren.

Seit unserer Kindheit hören wir, dass wir z. B. nicht nachts allein durch den Park laufen oder einen zu kurzen Rock tragen sollen. Das könnte nämlich nach außen hin das Bild vermitteln: „Dieser Körper ist jederzeit verfügbar“. Die Botschaft hinter solchen „Ratschlägen“ ist jedoch, dass in allen Ecken eine Gefahr lauert und wir Frauen, wenn wir solche Plätze zu bestimmten Uhrzeiten nicht meiden, auch „zum Teil selbst an Übergriffen schuld seien“. Denn warum sind wir auch so blöd und laufen nachts allein durch einen Park. Das Problem kann aber nicht das vermeintliche „Fehlverhalten“ einer Frau sein, sondern es geht doch vielmehr um das Verhalten der Täter und welchen Schutz sie durch das kollektive Wegsehen der Gesellschaft erhalten. Denn auch drei Lampen mehr im Schlosspark, mehr Videoüberwachung in Bus und Bahn oder ein Streifenwagen am Hauptbahnhof werden das Problem nicht lösen.

Wir müssen das Problem vielmehr an der Wurzel packen und die Verhältnisse hinterfragen, in denen wir tagtäglich leben. Unsere Gesellschaft und der Staat sind kapitalistisch und patriarchal – Was heißt das?

Das Patriarchat basiert auf einem System der Macht und Abhängigkeit und den festgeschriebenen Rollenbildern der Geschlechter. Frauen gelten als Opfer, sie werden als defensiv, schwach und das zu beschützende Geschlecht angesehen. Der Mann dagegen als dominant, überlegen und aggressiv. Die Herrschaft der Männer, die damit verbundene untergeordnete Rolle der Frau und die permanente gewaltvolle Unterdrückung sind so gegenwärtig, dass sie meist als naturgegeben hingenommen werden.

So ist es nicht verwunderlich, dass Frauen in der Erziehung, in den Medien und in der Rechtsprechung immer wieder auf solche Rollen verwiesen werden. Die Ergebnisse der Umfrage, gerade Antworten, wie „überall“, „dunkle Stäffele“ und „jegliche Parkhäuser“ sind ein Spiegel der patriarchalen Verhältnisse. Diese sind ebenso grundlegend dafür, wie sich Frauen im öffentlichen Raum fühlen und bewegen. Sie sind hier oft eingeschränkt, da der öffentliche Raum für Männer gemacht ist und auch von ihnen wie selbstverständlich dominiert wird. Der Ort der Frau ist nach patriarchalen Vorstellungen das Zuhause und die Familie, also der private Raum.

Wir Frauen haben aber ein Anrecht auf ein gewaltfreies Leben ohne Angst und Unterdrückung. Um die Befreiung der Frau aus diesem Zustand zu erreichen, muss das Patriarchat bekämpft werden. Dazu müssen wir Frauen uns untereinander austauschen, uns treffen und organisieren. Gemeinsam sind wir stark!

Um den Umständen entgegenzuwirken müssen wir uns zusammenschließen und uns dagegen wehren, dass wir in der Öffentlichkeit klein gehalten werden oder oft sogar unsichtbar sind. Wir möchten Räume erschaffen, in denen es keine Geschlechterhierarchien gibt und Frauen sich trauen, ja sogar gefordert werden, zu sprechen. Wir möchten ein sicheres Umfeld erleben, indem Frauen sich ermutigt fühlen ihre Komfortzone auch mal zu verlassen und daran wachsen können.

Wir möchten gemeinsam Aktionen, Kneipen und Veranstaltungen organisieren, bei denen wir nur unter Frauen sind. Um uns Räume auch in der Öffentlichkeit zurückzuerobern, ist es wichtig sichtbar zu sein – gemeinsam in Frauengruppen Veranstaltungen zu besuchen, ins Kino zu gehen oder sich im öffentlichen Raum aufzuhalten. Wir möchten zum Ausdruck bringen, dass wir die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft nicht akzeptieren und mit dem Finger auf die eigentlichen Probleme zeigen – nicht die Frauen müssen sich ändern, vorsichtiger sein oder besser im Kampfsport werden. Die Gesellschaft muss sich verändern.

Wir möchten uns mit anderen Frauen solidarisieren und gemeinsam gegen die Verhältnisse einstehen, die uns eigentlich unterdrücken. Es ist wichtig, dass wir laut und deutlich werden, auf unterschiedlichste Art und Weise. Wir werden daher das Ergebnis der Umfrage, die permanent drohende Gewalt gegen Frauen und die dadurch entstehenden unsichere Orte in den öffentlichen Raum tragen. Wir möchten diese für die Gesellschaft in Stuttgart sichtbar machen.

Frauenkollektiv Stuttgart


Auswertung der Umfrage:

Im November 2020 haben wir eine Umfrage zu unsicheren Orten für Frauen* in Stuttgart und Umgebung durchgeführt. Die Umfrage wurde nicht nach wissenschaftlichen Standards durchgeführt und gibt somit kein repräsentatives Bild für Frauen in Stuttgart wieder. Vielmehr wollten wir mit dieser Aktion zum Nachdenken anregen, dem Thema Aufmerksamkeit geben und die Frage in den Raum werfen: Warum fühlen wir uns denn an den genannten Orten unwohl? Wir wollen damit mehr an die Wurzel des Problems gehen und benennen, wo wir die Ursache für eine Vielzahl unsicherer Orte für Frauen in Stuttgart sehen. Auf diesen Punkt werden wir an anderer Stelle noch eingehen.

Da die Befragung über die sozialen Medien veröffentlicht wurde, haben wir hierüber einige Antworten erhalten. Ebenso führten wir die Umfrage direkt auf der Straße durch und haben Frauen auch hier nach unsicheren Orten befragt. Eine konkrete Auflistung der Orte sowie Zahlen der Benennungen findet ihr auf der folgenden Homepage: www.eastside-stuttgart.org. Im folgenden Teil findet ihr eine Zusammenfassung der Ergebnisse mit Anmerkungen.

Die meisten Teilnehmerinnen benannten jegliche Bahnhöfe, S- und U-Bahnstationen sowie verschiedene Unterführungen als unsicherster Ort. Vor allem der Hauptbahnhof und der Bahnhof in Bad Cannstatt wurden häufig erwähnt. Die befragten Frauen meiden zu Fuß, wie auch mit dem Rad das Passieren verschiedener Parks – besonders in der Dämmerung und nachts. Schlosspark und KIingenbachpark wurden darunter am häufigsten erwähnt. Aber auch größere Plätze empfinden Frauen als unsicher, allen voran der Schlossplatz mit den Nachtbushaltestellen am Abend und in der Nacht.

Interessant ist, dass das „Zuhause“ als unsicherer Ort einmal genannt wurde. Frauen sind in vielen Haushalten und familiären Zusammenhängen vermehrt physischer, psychischer sowie sexualisierter Gewalt durch den Partner, Ehemann oder ein anderes männliches Familienmitglied ausgesetzt. So müssen Frau und Kind oft für den Mann als „Ventil“ herhalten, um mit Frustration, Stress und Kontrollverlust umzugehen. Obwohl häusliche Gewalt die häufigste Form von Gewalt gegen Frauen ist, wird darüber am wenigsten geredet. Ein schlagender Ehemann wird immer noch als „Familiensache“ und „privat“ angesehen und Scham hindert viele Frauen daran diese Übergriffe zu benennen.

*Wir setzen das Wort Frau / Frauen für Personen, die sich als Frau definieren und / oder von der Gesellschaft als Frau gelesen werden und somit von patriarchaler Gewalt betroffen sind

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