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Frauenkampf

Aktionstag im Park – Für mehr Frauen(frei)räume

Das Ergebnis unserer Umfrage zu unsicheren Orten in Stuttgart und Umgebung im Herbst 2020 hat gezeigt, dass sich Frauen* im öffentlichen Raum, vor allem an Bahnhöfen, in Parks und in der Innenstadt am unsichersten fühlen. Der öffentliche Raum ist männerdominiert und vor allem nachts haben Frauen meist ein ungutes Gefühl sich alleine zu bewegen. Frauen sind im öffentlichen Raum nicht sicher und im Umkehrschluss kaum sichtbar.

Daher beschlossen wir uns den öffentlichen Raum zurück zu erkämpfen und uns genau dort zu versammeln, wo Frauen und queere Menschen am wenigsten sichtbar und nicht in Sicherheit sind. Deshalb haben wir am 12. Juni 2021 eine feministische Aktion im mittleren Schlossgarten mit drei weiteren Initiativen nach dem Motto: „Wir erkämpfen uns die Stadt zurück – Für mehr Frauen(frei)räume!“ veranstaltet.

Von 14 bis 18 Uhr waren wir vor der Lusthausruine laut und kämpferisch und haben zahlreiche Passant*innen mit unseren Reden und unserer Präsenz angesprochen. Um die 50 Frauen und queere Menschen sind mit uns den ganzen Nachmittag geblieben, haben unser buntes Programm und die gemeinsame Zeit auf der Wiese genossen. Das ganze wurde noch durch die stimmungsvolle Musik von DJ_ane Matjes* unterstrichen. Viele weitere Menschen kamen noch hinzu, um an den Mitmachaktionen teilzunehmen.

Neben Infoständen und Stellwänden mit Fotos und politischen Inhalten, gab es inspirierende Reden und Mitmachaktionen von befreundeten Gruppen:

  • Die Initiative Catcalls of Stuttgart hat Mädchen und Frauen dazu eingeladen, sexistische Zitate oder Erfahrungen und feministische Forderungen auf den Asphalt anzukreiden, um so den Park als unsicheren Ort zu kennzeichnen und Passant*innen auf das Thema aufmerksam zu machen.

  • Die Queerfems Stuttgart unterstützten unsere Aktion neben einem Redebeitrag mit der Ausstellung „Die Haut, in der ich wohne“, die von Schülerinnen gemacht wurde. Dabei ging es um die bildliche Darstellung der eigenen Erfahrungen mit patriarchaler Gewalt und Sexismus.

  • Die Gruppierung Zusammen Kämpfen Stuttgart machte in ihrer Rede darauf aufmerksam, dass die herrschende Unterdrückung der Frau mit der kapitalistischen und patriarchalen Systematik zusammenhängt und wie wichtig es ist diese zu bekämpfen.

  • Wir, das Frauenkollektiv Stuttgart luden die Frauen zu einer Diskussionsrunde ein, mit der Fragestellung „Was müsste sich ändern, damit du dich im öffentlichen Raum sicherer fühlst?“. Denn wir sehen es als wichtig an, dass sich Frauen untereinander zusammenschließen, diskutieren und organisieren. Zudem stellten wir unsere Wanderfotoausstellung „Gewalt hat viele Gesichter“ aus. Ebenfalls wurde gemeinsam mit vielen Anwesenden pinke Plakate mit Forderungen und einer Analyse der Situation von Frauen und Sticker mit dem Slogan „Hier fühlen sich Frauen unsicher“ aufgehängt und damit der Park als unsicherer Ort gekennzeichnet.

Unser Ziel mit der Aktion war es, die Gesellschaft auf das Thema Gewalt gegen Frauen und Unsicherheit von Frauen im öffentlichen Raum aufmerksam zu machen. Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von physischer und/oder sexualisierter Gewalt betroffen. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Wir leben in einem kapitalistischen und patriarchalen System, in dem der Ort der Frau nach patriarchalen Vorstellungen das Zuhause und die Familie ist, also der private Raum.

Wir fordern also, dass sich die gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir leben verändern. Denn wir Frauen haben ein Anrecht auf ein gewaltfreies Leben ohne Angst und Unterdrückung.


*Frau/Frauen und Personen, die sich als Frau definieren und/oder von der Gesellschaft als Frau gelesen werden und somit von patriarchaler Gewalt betroffen sind.

Im Folgenden dokumentieren wir die Rede des Frauenkollektivs Stuttgart:

Liebe Genoss*innen, Liebe Freund*innen, liebe Kundgebungsteilnehmer*innen,

in der vergangenen Woche wurde in der Stuttgarter Zeitung über Orte in der Stadt berichtet, an denen Frauen belästigt wurden, sexuelle Übergriffe erlebten – sich unsicher fühlen. Es wird über Angsträume und empfundene Tabuzonen für Frauen geschrieben. Dies macht sehr deutlich, wie groß und prägend die Unsicherheit und das generelle Gefühl der Unsicherheit im öffentlichen Raum für Frauen ist. Es ist für Frauen ein solch großes Thema, da es leider für sie alltäglich ist – und das seit Kindheitstagen.

Öffentliche Räume sind für eine gemeinschaftliche Nutzung gedacht, sie sind eine wichtige Voraussetzung für städtisches Leben. Sie schließen urbane Plätze ein und eben auch Grünanlagen. Diese Räume stehen an sich allen Menschen gleichermaßen zu. Wir können diese Räume nutzen, um uns alleine darin zu bewegen, Sport zu machen oder um uns mit Freund*innen zu treffen. Wir können den Raum mit einer Gruppe einnehmen – uns identifizieren.

Aber wie häufig beschließen wir denn mit einer Gruppe von Frauen den Abend im Park zu verbringen? Sich dort zu treffen und einen entspannten Abend zu haben? Einen entspannten Abend – ohne nervige Sprüche, ohne Männer, die sich einfach eingeladen fühlen hinzuzukommen, weil eine Gruppe von Frauen hier sitzt.

Wenn wir unsere öffentlichen Räume und spezifisch Parks betrachten – ist auffällig, wie sehr sie von Männern dominiert sind und auch gewaltvoll eingenommen werden. Frauen sind hier von Sprüchen, Anmache, körperlichen- sowie sexuellen Übergriffen bedroht.

Frauen machen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung aus und auch etwa die Hälfte aller Bewohner*innen in Stuttgart. Wie kann es also sein, dass Frauen ständig diese Unsicherheit und Gefahren erleben ?

Hinzu kommt das ständige GEFÜHL einer Bedrohung im öffentlichen Raum – das sogenannte kollektive Gedächtnis. Frauen wird vermittelt, sie befänden sich in einem permanenten Zustand der Bedrohung, dem sie nur durch eigene Anpassung entkommen könnten. Mädchen wird bereits sehr früh beigebracht, dass sie besonders nachts nicht alleine durch den Park laufen und sich nicht – wie so schön gesagt – „aufreizend“ kleiden sollen. „Der Rock nicht zu kurz“ – denn sonst könnten sie zu Opfern männlicher Übergriffe werden. Damit wird einfach immer wieder auf indirekte Weise vermittelt, Frauen und Mädchen seien zum Teil auch selbst schuld an Übergriffen.

Wer kennt die Unterhaltungen nicht, wenn es um eine Rechtfertigung geht, warum einer Frau nun auf dem Nachhauseweg etwas zugestoßen war, nachdem darüber in den Medien berichtet wurde… „Sie war wahrscheinlich betrunken…“ „Sie war halt auch alleine unterwegs…“ Das männliche Verhalten wird nicht kritisiert oder überhaupt hinterfragt, sondern allein die Frauen werden angegangen, die dieses Verhalten angeblich provozieren und hervorrufen würden. Und dies prägt kollektiv unser Empfinden und unser Gefühl, mit dem wir uns in der Stadt, im öffentlichen Raum bewegen.

Es lässt sich sagen: Im öffentlichen Raum spiegelt sich das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft.

Frauen werden sowohl in Deutschland als auch global immer noch in hohem Maße unterdrückt und ausgebeutet. Frauen sind angeblich von Natur aus schwach und unterwürfig, weshalb sie die Führung der angeblich von Natur aus dominanten und starken Männer bedürfen. Sie werden zu reagierenden Objekten degradiert, die sich der patriarchalen Gewalt nur entziehen können, wenn sie sich quasi unsichtbar machen. Dabei wird diese patriarchale Gewalt als etwas Naturgegebenes dargestellt, weil Männer und Frauen angeblich einfach so sind, wie sie sind.

Wir wollen das aber nicht akzeptieren oder hinnehmen. Wir wollen dagegen kämpfen und eine Veränderung schaffen. Wenn sich die Verhältnisse zwischen Individuum und Gesellschaft hier im öffentlichen Raum spiegeln – dann ist es auch ein guter Ort, um die Verhältnisse anzugehen und zu verändern.

Für uns bedeutet es ein Anfang, wenn wie bereits vorhin erwähnt, über die Situation von Frauen in der Gesellschaft berichtet wird. Wenn sich Projekte gründen, die es Frauen erleichtern, sich mit einem Codewort in einer Bar Hilfe zu holen. Wenn das Thema gendergerechte Stadtplanung auf den Tisch kommt und durch Beleuchtung und bauliche Veränderungen Angsträume reduziert werden sollen. Es sind Anker im Alltag von Frauen, die Ihnen in akuten Bedrohungssituationen weiterhelfen – doch das ist nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Frauen müssen sich zusammenschließen und eine Veränderungen selbst und kollektiv einfordern. Um den Umständen entgegenzuwirken müssen wir uns gemeinsam dagegen wehren, dass wir in der Öffentlichkeit klein gehalten werden oder oft sogar unsichtbar sind.

  • Wir wollen Räume schaffen, in denen es keine Geschlechterhierarchien gibt und Frauen sich trauen, ja sogar gefordert werden, zu sprechen. Auf der Arbeit oder in der Kneipenrunde mit Freund*innen halten sich Frauen häufig zurück oder kommen gar nicht zu Wort.
  • Wir wollen auffällig und laut sein im öffentlichen Raum. Uns nicht mehr zurückhalten und verstecken.
  • Wir wollen uns mit Freundinnen im Park treffen und einen schönen Sommermittag oder -abend verbringen. Den Park für uns einnehmen und als Gruppe von Frauen gesehen werden.
  • Wir wollen uns mit anderen Frauen solidarisieren und zusammenschließen. Seid solidarisch, wenn ihr seht, dass eine Frau belästigt wird. Helft euch im Beruf und unterstützt euch gegenseitig.

Auch mit unserer heutigen Veranstaltung wollen wir uns bewusst einen Teil der Stadt zurück erobern. Wir nehmen uns heute diesen Ort, einen Teil des Parks, und sind für die Menschen hier eindeutig sichtbar – wir haben uns zusammengeschlossen, sind präsent und laut. Wir teilen mit, dass wir diese Verhältnisse echt satt haben und möchten Frauen dazu aufrufen sich auch generell, nicht nur heute, den Raum in ihrem Alltag zurück zu erobern.

Wir akzeptieren die patriarchalen Strukturen der Gesellschaft nicht. Wir werden immer mit dem Finger auf die eigentlichen Probleme zeigen. Nicht die Frauen müssen sich ändern, vorsichtiger oder besser im Kampfsport werden, um unversehrt durchs Leben zu kommen. Die Gesellschaft und das System müssen sich ändern.

Wir nehmen uns den Park, um für unsere Forderungen einzustehen und unsere Wut in die Öffentlichkeit zu tragen.

Denn Frauen, die kämpfen, sind Frauen, die Leben. Lasst uns das System aus den Angeln heben!

Ausgewählte Texte