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Stadtteil

Für ein solidarisches Miteinander – Gesundheit für alle oder Profit over People

Seit einigen Wochen steigen die Zahlen derjenigen, die sich mit Corona infiziert haben in der BRD und Europa wieder stark an. Noch im September und Oktober zeigten sich Parallelen zur Weltfinanzkrise 2009/10 und dem danach einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung, der aufzeigte, dass die Bundesrepublik deutlich besser aus der Krise gekommen ist als andere Staaten und Nationalökonomien. Denn erst kürzlich berichteten Medien und Manager davon, dass Corona und die durch den fast weltweiten Lockdown verursachte Stilllegung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens, anscheinend nicht zu den prognostizierten ökonomischen Flurschäden geführt hat, die erwartet wurden. Als Beispiel können die in Stuttgart angesiedelten Unternehmen Bosch und Daimler angeführt werden, die voraussichtlich das laufende Geschäftsjahr zwar mit niedrigeren Gewinnen abschließen werden, aber ohne Verluste, wie im Jahr 2009. Eines ließen sie aber nicht unerwähnt und betonten vehement, dass diese Ergebnisse nur ohne einen zweiten harten Lockdown zu erreichen seien.

Nun weicht die Normalisierung, welche sich im Sommer einstellte, zunehmend wieder nachdenklicheren Tönen. Die Zahlen steigen und die durch die Regierungen selbst gesetzten Schwellenwerte werden reihenweise gerissen.

Nach zahlreich unkoordiniert anmutenden Maßnahmen, Einschränkungen und Profilierungsversuchen einiger der herrschenden Politiker, kommt man an härteren Maßnahmen zur Eindämmung des Virus nicht mehr vorbei. Aus diesem Grund befinden wir uns seit Anfang November in einem sogenannten Lockdown light, der auch diesmal das Ziel hat, mit Kontaktbeschränkungen und einer weitgehenden Lähmung des öffentlichen Lebens, die Kurve der steigenden Zahlen zu glätten und damit eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.

Während im Frühjahr sämtliche öffentliche Einrichtungen geschlossen wurden und in vielen Betrieben kurzgearbeitet oder Homeoffice angeordnet wurde, bringen die Herrschenden eine veränderte Taktik in Stellung. Im Wesentlichen beinhaltet sie Einschränkungen im privaten Leben und verlagert damit die Probleme in die Sphäre der Reproduktion. Die Produktionssphäre, sprich der Arbeitsalltag, bleibt von den Maßnahmen zur Kontaktreduzierung unbehelligt. Vielmehr wird hier wieder auf die unternehmerische Freiheit gesetzt, die im besten Fall das Homeoffice vorsieht oder im schlechtesten einfach auf Mund-Nase-Bedeckungen setzt. Zwar sind nachweisliche eine nicht unerhebliche Zahl von Infektionen auf Kontakte aus dem Arbeitsleben zurückzuführen, aber das scheint bei den Überlegungen der Politik keine Rolle gespielt zu haben. Diese angepasste Taktik reduziert das gesellschaftliche Leben auf die Notwendigkeiten der warenproduzierenden Gesellschaft – Produktion und den Konsum.

Während sich die politische Debatte auf das Für und Wider der als Einschränkung der individuellen Freiheit empfundenen Maßnahmen beschränkt, wird die Frage von sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Miteinander ausgeklammert. In den Vordergrund tritt der Streit, ob Masken tragen verordnet werden kann und stilisiert die Maske zu einem grotesken Symbol der Unterdrückung. Nicht die Unfreiheit, alle Menschen vor Ansteckung und Krankheit gleichermaßen schützen zu können, nicht die Verleugnung jeglicher bürgerlicher demokratischer Grundsätze, wie parlamentarische Mitbestimmung und Kontrolle, nicht die Unfreiheit ökonomischer Verhältnisse erscheint als Unterdrückung, sondern die Maske und die Pflicht sie zu tragen. Individualität wird gegen gesellschaftliches Miteinander ausgespielt und versteckt die offensichtliche Tatsache, dass hauptsächlich eines im Vordergrund steht – die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise.

Alles soll so bleiben wie es ist. Die Wirtschaft steht im Mittelpunkt und nicht der Mensch. Die alte Leier, welche besagt, dass es den Menschen nur dann gut gehen kann, wenn die Profite weiter fließen, wird gebetsmühlenartig hervorgebracht und damit klargemacht, ob Krise oder nicht, es bleibt bei dem in unserer Art und Weise zu wirtschaften fest verwurzelten Dogma: Profit over People.

Gesellschaft und den Menschen in den Mittelpunkt rücken
aktiv werden – gemeinsam lernen – zusammen kämpfen

Damit zeigt sich, dass Perspektiven, welche es vermögen dieses Hamsterrad zu durchbrechen, immer notwendiger werden. Klar ist dabei, dass eine solche Perspektive nicht die individuelle (Bewegungs-)Freiheit gegenüber der Gesundheit der Gesamtbevölkerung ausspielen darf und gleichzeitig den Menschen in den Mittelpunkt gesellschaftlichen Handelns stellen muss und eben nicht den Profit. Kurz gesagt, eine Perspektive für ein solidarisches Miteinander. Für uns ist klar, dass eine solche Perspektive nicht die Optionen der Herrschenden beinhalten kann, sondern von uns entwickelt werden muss. Es liegt an uns, jenseits der politischen und wirtschaftlichen Eliten, Ideen aus unserer Perspektive zu erarbeiten, diese zu diskutieren und die Schritte, diese zu verwirklichen, selbst zu gehen.

So sind zahlreiche Initiativen entstanden, welche es sich zum Ziel gesetzt haben, Hilfe für Nachbarinnen zu leisten und/ oder zu organisieren. Sei es ein Einkauf, das Abholen von Medikamenten oder das offene Ohr für die momentane Situation. Gegenseitige Unterstützung wurde aus einem gemeinsamen Interesse heraus als solche begriffen und nicht etwa als Dienstleistung. Viele solcher Intitativen entwickeln sich in selbstverwalteten Räumen und Instutionen. So wurden und werden beispielsweise im Stadtteilzentrum Gasparitsch Ideen entwickelt, wie politisches, kulturelles, und soziales Leben auch unter Pandemiebedingungen in einem nicht-kommerziellen Rahmen fortgeführt werden kann. Es werden Plattformen für digitale Treffen bereitgestellt, Frühstücke to go organisiert und Veranstaltungen oder ganze Feste inklusive Konzert online abgehalten, um in Zeiten von Social Distancing weiter kollektive Momente zu schaffen.

Als zahlreichen selbständigen Kulturschaffenden im ersten Lockdown teilweise die kompletten Einnahmen wegbrachen, sammelte die Künstlerinnen Soforthilfe zahlreiche Spenden, um in Not geratenen Kulturschaffenden mit unbürokratischen finanziellen Hilfen den Kühlschrank zu füllen. Die Initiative Stuttgart-Ost Solidarisch befragte verschiedene Gastronomiebetriebe und kleinere Einzelhändler zur Situation der dort Arbeitenden mit dem Ziel, Gemeinsamkeiten herauszustellen und selbstorganisierte Lösungsansätze zu entwickeln. Das Frauenkollektiv Stuttgart wies mit zahlreichen Aktionen und Veröffentlichungen im Stadtteil und darüber hinaus auf die spezifische Situation von Frauen als Lastenträger*innen in der Krise hin und verband diese mit der Kommunikation von Hilfsangeboten und politischen Forderungen. Was klein erscheint bietet uns aber die Räume, eine andere Gesellschaft denkbar zu machen.

Denn deutlich wird bei aller Unzulänglichkeit der Ansätze aber, dass sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen, in der Praxis umsetzbar sind und die Wahrung der tatsächlichen Interessen, die sich im gesellschaftlichen Miteinander artikulieren, sichern. Es liegt an uns allen uns zu beteiligen, mitzugestalten und uns einzumischen, um die herrschende (Profit-) Logik zu durchbrechen. Nicht der Profit Einzelner, sondern die zahlreichen überschneidenden und gemeinsamen Interessen stehen im Vordergrund. Klar ist auch, dass solche Prozesse nicht von heute auf morgen von statten gehen können. Sie müssen kontinuierlich von unten entwickelt und erlernt werden. Doch gerade die Corona-Krise hat gezeigt, dass es für diesen Prozess zahlreiche Anknüpfungspunkte gibt und viele Menschen bereit sind, sich daran zu beteiligen. Deshalb lasst uns die Krise auch als Möglichkeit begreifen, konkrete Ansatzpunkte wie Solidarität und Kollektivität aufzubauen und erlebbar zu machen, egal ob in der Nachbarschaft, in der Schule, im Betrieb, der Familie oder den anderen Plätzen des alltäglichen Lebens. Lasst uns im Kleinen beginnen, gemeinsam zu handeln und ein solidarisches Miteinander von unten aufzubauen, in der das herrschende Dogma Profit over People der Vergangenheit angehören. Es liegt an uns diese Verhältnisse zu hinterfragen und umzuwerfen. Lasst uns zusammen aktiv werden, gemeinsam lernen und zusammen kämpfen …

… für eine solidarische Perspektive gerade in Krisenzeiten
… für ein solidarisches Miteinander

Zusammen Kämpfen
November 2020

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