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Buchempfehlung: Community Organizing – Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung

Von: Robert Maruschke
Erschienen in der Edition Assemblage

Oder schlicht und einfach: Den Stadtteil organisieren

Ein Gespenst geht um… das Gespenst des Community Organizing. So oder so ähnlich heißt es. Doch was versteckt sich hinter dem viel beworbenen, selten beschriebenen und meist nicht verstandenen Begriff des Community Organizings?

Herrschaftssichernd oder -verändernd?

Wörtlich übersetzt heißt es erstmal nichts anderes als die Gemeinschaft, also den Stadtteil, die Bevölkerung zu organisieren, meist anhand eines realpolitischen Themas, und in dieser entpolitisierten Bedeutung wird es auch von verschiedenen Seiten benutzt. Einerseits von einer fortschrittlichen Seite mit dem Ziel Schritte hin zu einer besseren Welt zu machen. Aber auch von staatlicher (oder besser stadtlicher?) Seite wird der Begriff und die Art und Weise der Politik benutzt, hier mit dem Ziel die herrschende Ordnung durch die Integration von Menschen und durch eine angebliche Mitbestimmung zu sichern. Gerade auf Stadtteilebene ist das Community Organizing ein beliebtes Rezept sich die „demokratische Legitimation“ für Aufwertung, Wohnraumvernichtung, Verdrängung und weiteres zu holen, mit BürgerInnenparlamenten, Quartiersmanagements, Bürgerversammlungen, Stadtteilbüros und weiteren Scheinangeboten für eine angebliche Mitbestimmung der Bevölkerung.

Gerade diese unterschiedlichste Auslegungen machen deutlich, dass es notwendig ist eine Konkretisierung des Begriffs vorzunehmen. Diese Unterscheidung wird vorgenommen indem zwischen „liberalem“ und „transformativen“ Organizing unterschieden wird. Das liberale Organizing geht auf Saul Alinsky zurück, der die Bezugsperson des herrschaftssichernden Organizing darstellt.

Das transformative Organizing steht dafür, dass es nicht nur um das konkrete Thema geht, sondern um eine Überwindung, eine Überwindung des Bestehenden. Nicht unbedingt auf revolutionäre Weise, aber immer mit einer Perspektive das Bestehende zu verändern.

Wir möchten uns aus verständlichen Gründen dem transformativen Organizing widmen.

Anhand konkreter Probleme die Menschen organisieren

Die Maxime des Organizing ist es Menschen anhand ihrer konkreter und erfahrbarer Probleme zu organisieren und dies als Anlass zu nehmen, um weitergehende Themen aufzubringen und zu bearbeiten. Beispiele gibt es einige: In Deutschland ist es sicherlich das „Zwangsräumung verhindern“ Bündnis in Berlin. In den USA ist es beispielsweise die Bus Riders Union in Los Angeles.

Beide haben gemeinsam ein konkretes Problem als Ausgangspunkt genommen zu haben (Zwangsräumungen und Rassismus im öffentlichen Nahverkehr). Insbesondere die BRU ist über die Jahre immer weiter gewachsen (hat mehrere tausend Mitglieder) und konnte dann das eigentliche Thema erweitern mit z.B. einer Kampagne: 1000 Busse mehr, 1000 Polizisten weniger. Bei der Kampagne wurde dann nicht nur der Nahverkehr thematisiert, sondern eben auch die Polizei und Repression.

Formen der Organisierung

Die Formen der Organisierung gehen auch von der eigentlichen Thematik aus. Sie setzt aber auf den direkten Kontakt mit den Menschen. D.h. die Art der Politik, die möglichst viele Menschen direkt mit einem Problem konfrontiert, das sie selbst haben und eine Möglichkeit des Widerstands aufzeigt:
Die BRU geht z.B. regelmäßig in die Busse rein, verteilt Flugblätter, hält Reden etc. V.a. der aktive Widerstand lädt zum mitmachen ein und zeigt gleichzeitig auf, dass es auch etwas bringt sich zu wehren. Ein Beispiel: In Ankara, Türkei wurden die Fahrpreise der Busse erhöht. Eine Gruppe von Leuten ist eingestiegen, hat gesagt sie werden nicht zahlen, da es sowieso ihr Bus ist, der Busfahrer holte die Polizei, ließ den gesamten Bus von der Polizei mitnehmen. Daraus gründete sich eine Gruppe von Leuten, die sich der Thematik annahmen und gleichzeitig machte das Beispiel Schule in der ganzen Türkei.

Art und Weise der Organisierung

Der direkte Kontakt ist ungemein wichtig. Die Leute werden versucht direkt anzusprechen und weniger anonym per Mail, sondern direkt per Telefon oder persönlich.

Die Art und Weise setzt darauf, dass die Menschen selbst ermächtigt werden sollen etwas zu organisieren. In unserem Sprachgebrauch: Selbstorganisierung.

(Viele der Organisationen die auf Community Organizing setzen bestehen aus Organizern, die teilweise sogar angestellt sind.)

Struktur der Organisierung

Eine weitere neue Begrifflichkeit die in diesem Kontext fällt ist „leadership“, das eigentlich die konkrete Verantwortlichkeit von Einzelnen beschreibt, die im Vorfeld nicht alles absprechen muss (wie auch… bei mehreren tausend Mitgliedern), sich aber im Nachhinein für alles rechtfertigen muss. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Ganze dann als ein etwas angepasstes Rätesystem.

Verhältnis Perspektive ↔ Konkreter Anlass

In dem Buch und in den Beispielen war nicht viel darüber zu finden was ja eigentlich eine Kernfrage darstellt. Was allerdings herauszulesen ist, ist dass vieles über die soziale Bindung über ein konkretes realpolitisches Thema zueinander und über das Durchbrechen der Vereinzelung geschaffen wird und damit eben auch Möglichkeiten jenseits des abgesteckten Rahmens öffnet.

Über den konkreten Anlass kommen zahlreiche verschiedene Menschen zueinander, die sich auch über den konkreten Anlass hinaus austauschen und es entsteht ein Kollektivgefühl, das auch eine Stärke bei anderen Themen vermittelt.

Fazit

Mal abgesehen von dem Zwang alles in neue Begrifflichkeiten zu packen, lassen sich dann doch einige Sachen aus dem Konzept ziehen:

  • realpolitische Themen eignen sich hervorragend um in Kontakt mit dem Stadtteil zu kommen und diesen auf einer niedrigschwelligen Ebene in einem enggefassten thematischen Rahmen zu organisieren
  • die aktivistische Begleitung des Themas verdeutlicht die Ernsthaftigkeit und auch den Nutzen
  • das Rätesystem lässt sich auch auf große Organisationen anwenden
  • wir benötigen verschiedene Mittel um direkter auf Leute zuzugehen (Telefonnummern sammeln, von Tür zu Tür gehen (evtl. mit Ankündigung))

9,80 € | 112 Seiten
ISBN: 978-3-942885-58-4
Erschienen: April 2014

http://www.edition-assemblage.de/buecher/community-organizing/

Weitere Materialien von Robert Maruschke sind hier zu finden:

https://www.rosalux.de/publikation/id/41297/linkes-organizing?cHash=486f6de4e9eac1371fbde75f589cdd2d

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