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Frauenkampf

Das war der Frauen*streik am 8. März 2022 in Stuttgart-Ost

Frauen*streik am 8. März 2022 – Wir erkämpfen uns die Welt und das Leben zurück!

Wir organisierten anlässlich des diesjährigen internationalen Frauenkampftages am Ostendplatz einen Frauenstreikpavillon mit verschiedenen Aktionen. Der 8. März ist weltweit ein Tag, an dem Frauen* auf die Straße gehen, um für ihre Rechte zu kämpfen und gegen die patriarchale Unterdrückung und den Verhältnissen in denen Frauen leben, mit Wut und lauten Stimmen etwas entgegen zu setzen. Frauen werden in unserer Gesellschaft auch im Jahr 2022 immer noch unterdrückt. Es besteht immer noch eine sehr ungleiche Aufteilung der Arbeiten rund um Haushalt, Kinder und Pflegebedürftige. Dazu kommt, dass Frauen selbst im vermeintlich sicheren Zuhause häufig von Gewalt betroffen sind.

Der Aktionstag startete um 12 Uhr mit einer kämpferisch feministischen Mittagspause. Frauen wurden dazu eingeladen, ihre Mittagspause am Ostendplatz beim Aktionspavillon zu verbringen, um gemeinsam in den Austausch und Diskussion zu gehen oder sich einfach an den Infoständen und Stellwänden über feministische Themen zu informieren. Den Tag über waren um die 30-40 Frauen waren vor Ort und kamen im öffentlichen Raum zusammen.

Denn vor allem am 8. März ist es wichtig, sich als Frauen im öffentlichen Raum zu zeigen und sich Räume zurück zu erkämpfen. In der Rede vom Frauenkollektiv heißt es, es ist wichtig, sichtbar zu sein. „Heute nehmen wir uns einen Teil des öffentlichen Raumes um zu verdeutlichen, dass wir die Situation für uns Frauen so nicht mehr hinnehmen wollen,“ so die Rednerin. Patriarchale Vorstellungen, die zementieren, dass Frauen eher Opfer seien, passiv und schwach, gehen Hand in Hand mit einer kapitalistischen Unterdrückung. Stereotype wie das schutzbedürftige Mädchen und der männliche Rabauke entsprechen hierbei dem patriarchalen kollektiven Gedächtnis, das uns seit unserer Kindheit antrainiert wird.

Die Migrantifa Stuttgart geht in ihrem Redebeitrag darauf ein, dass wir am 08. März auf der Straße sind, um für FLINTA* (Frauen, Lesben, Intersexuelle, Non-Binary , A-Sexuelle Menschen) aller Klassen und aller gesellschaftlichen Schichten zu kämpfen. „Feminismus bedeutet nicht, für mehr Frauen in Führungspositionen zu kämpfen oder sich über das erst kürzlich viral gegangene Foto der Münchner Sicherheitskonferenz zu empören, weil ja keine einzige Frau am Tisch sitzt. Feminismus bedeutet nicht als Frau an der Spitze zu stehen, während gleichzeitig alle, die unter ihr stehen ausgebeutet werden“, so die Sprecherin der Migrantifa.

Frauen sind im öffentlichen Raum nicht sicher, heißt es in der Rede von Zusammen Kämpfen. Gegen die ständige drohende Gewalt in der Öffentlichkeit, gegen schlechtbezahlte Berufe oder gegen den Großteil der Übernahme der Haus- und Sorgearbeit werden Frauen heute dazu aufgerufen zu streiken. „Wir streiken gegen die vielen Bereiche in unserem Leben, in welchen wir Frauen diskriminiert sind – sei es bei der Lohnarbeit, in der Öffentlichkeit oder im familiären Umfeld.“ so die Rednerin. Außerdem plädiert die Rednerin dafür, dass wir für eine Gesellschaft jenseits von Patriarchat, Kapitalismus und rassistischen Zuschreibungen streiten. Für eine Gesellschaft, in der die Sorgearbeit und politische Einmischung als Recht in die Verantwortung aller gelegt werden würde und nicht der Profit an erster Stelle steht.

Die Soziologin und Philosophin Frigga Haug, hat für die Aktion am Ostendplatz ein Grußwort zukommen lassen. Darin ging sie darauf ein, dass es nahe liegt diesen 08. März sich gegen den Krieg und für Frieden einzusetzen. Sie spricht davon, dass Frauen als Unterpfand für den Krieg gelten und hin und her geschoben werden. Aber Frauen seien nicht nur Opfer, sondern auch Täterinnen. So geht Frigga darauf ein, dass sie mit Zorn, auf die Politikerinnen schaut, auch die weiblichen Geschlechts, die jetzt den Verteidigungshaushalt in die Höhe gebracht haben.

Neben verschiedenen Redebeiträgen und Infotischen, war v. a. der gemeinsame Stuhlstreik im Fokus der Aktion. Zum Abschluss nahmen ca. 30 Frauen am Stuhlstreik teil. Mit persönlichen Forderungen, auf der Rückenlehne des jeweiligen Stuhls zu sehen, haben wir unseren Unmut und unsere Wut sichtbar für alle angebracht.

Die Idee war, Lohnarbeit und andere v. a. häusliche Arbeiten nieder zu legen und zu bestreiken. Zum Abschluss des Stuhlstreikes wurde vom Frauenkollektiv ein feministisches Streiklied laut und kämpferisch vorgetragen. Aufruf zum Widerstand, gegen Gewalt an Frauen, Selbstbestimmung über den eigenen Körper, ungleiche Haus- und Sorgearbeit und Ausbeutung der Frauen im Kapitalismus, wurde inhaltlich im Text wiedergegeben.

„Schwestern vereint euch, seid solidarisch, wir stehen hier und kämpfen einig Seit an Seit, Seit, Seit für Selbstbestimmung aller Menschen, gegen Staat und Kapital,“ so lautete die letzte Strophe des Liedes. Denn der Kampf gegen die patriarchale Unterdrückung geht nur gemeinsam.

Im Anschluss sind wir gemeinsam in die Innenstadt auf die Demonstration zum 08. März gegangen, die im Stadtgarten begonnen hat. Unter dem Motto: Überlastet, ungesehen, (unter)bezahlt. Feministisch streiken! Gemeinsam gegen Patriarchat und Kapitalismus, haben wir uns gemeinsam die Straße genommen. Denn:

„Frauen, die kämpfen sind Frauen die leben, lasst uns das System aus den Angeln heben.“

Frauenkollektiv Stuttgart

Zusammen Kämpfen Stuttgart

* Wir setzen das Wort Frau/Frauen für Personen, die sich als Frau definieren und/oder von der Gesellschaft als Frau gelesen werden und somit ähnliche Erfahrungen machen.

 

Im folgenden Dokumentieren wir die Reden vom Frauenkollektiv Stuttgart und Zusammen Kämpfen Stuttgart:

Liebe Frauen, Liebe Kundgebungsteilnehmer*innen, liebe Passant*innen,

wir sind heute hier um zu streiken und um darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen* in unserer Gesellschaft immer noch Unterdrückt werden, eine sehr ungleiche Aufteilung der Arbeiten rund um Haushalt, Kinder und Pflegebedürftige besteht und wir selbst im vermeintlich sicheren Zuhause häufig von Gewalt betroffen sind.

Bereits seit unserer Geburt werden wir durch unsere Umwelt und Familie geprägt und unterbewusst auf die Rollen in unserem späteren Leben vorbereitet. Diese Erziehung orientiert sich häufig am uns zugewiesenen Geschlecht und prägt uns während der Kindheit, der Pubertät und bis hinein ins Erwachsenenleben. Stereotype wie das schutzbedürftige Mädchen und der männliche Rabauke entsprechen hierbei dem patriarchalen kollektiven Gedächtnis, das uns seit unserer Kindheit antrainiert wird.

Im verlauf unseres Lebens begegnet uns diese Aufteilung in anderer Gestalt immer wieder. In einer Ehe oder Partnerschaft sind viele Frauen* von der Familie finanziell abhängig. 19 % der 30- bis 50-jährigen Frauen* verdienen kein eigenes Gehalt. 63 % verdienen weniger als 1.000 Euro netto im Monat, da sie oft in Teilzeit und in schlecht bezahlten Berufen arbeiten. Diese Ungleichheit hat erhebliche Auswirkungen auf Machtstrukturen innerhalb von Beziehungen und auch in der gesamten Gesellschaft. Frauen* sollen, als Ausgleich dafür das der Mann arbeiten geht und teilweise den größeren Teil des Geldes nach Hause bringt, die Aufgaben im Haushalt übernehmen, für Problemlösungen und Empathiearbeit sorgen, die Organisation der Freizeitgestaltung stemmen und um es überspitzt zu sagen, sich noch um das Geburtstagsgeschenk für die Großmutter kümmern.

Männer und andere Familienmitglieder verlassen sich auch genau hierauf und erwarten dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden. Sie erwarten von der Mutter, Frau oder Partnerin Erholung in Form von Geborgenheit, Nähe oder Sex. Aus einer ökonomischen Überlegenheit und diesen verkrusteten Rollenbildern, entwickelt sich bei Männern zudem ein Gefühl der Macht, das sich im Umgang und Respekt gegenüber uns Frauen* verdeutlicht. So bleiben diese Aufteilungen auch bestehen, wenn die Frau* in der Beziehung arbeiten geht und eigentlich mehr verdient.

Die Trennung von Haus- und Sorgearbeit und Lohnarbeit ist in unserem patriarchalen und kapitalistischen System gewollt. Denn nur so funktioniert das System. Es ist darauf ausgelegt, dass wir Frauen* uns Zuhause bei den Kindern aufhalten – und zwar unentgeltlich. Die finanzielle Abhängigkeit vom Mann hat für viele Frauen* oft zur Folge sich möglichst nicht zu trennen. Auch wird bei einer Trennung (aber auch generell) von uns erwartet, dass wir das Wohl der Kinder und der Familie über unser eigenes stellen und unsere Bedürfnisse und wünsche hinten an stellen.

Während der Pandemie wurde uns unser Zuhause als sicherer Hafen verkauft und in Zeiten von sozialer Unsicherheit, steigenden Lebenshaltungskosten und Krieg ist es ein Symbol des Zusammenhalts und der Sicherheit. Doch für viele von uns bedeutet er einer der gefährlichsten Orte im Leben. Das Zuhause wird zu einem Ort geprägt von Gewalt. Statistisch gesehen, hat jede vierte Frau* in ihrem Leben einmal Gewalt von ihrem Partner oder Ex-Partner erlebt.

Wir sagen: Wir haben es satt! Wir haben ein Recht auf Unversehrtheit und wir müssen uns gemeinsam dessen bewusst werden und uns stärken. Wir wollen die Strukturen und Verhältnisse, in denen wir leben, hinterfragen und das Problem an der Wurzel packen. Die Verwobenheit aus patriarchaler und kapitalistischer Unterdrückung ist Ursprung dieses Übels. Patriarchale Vorstellungen, die zementieren, dass Frauen* eher Opfer seien, passiv und schwach, gehen Hand in Hand mit einer kapitalistischen Unterdrückung. Schlechter bezahlte, sogenannte Frauenberufe oder finanzielle Abhängigkeit aufgrund von unbezahlter Sorgearbeit für Kinder oder Angehörige, erhalten sich nämlich gegenseitig.

Hier wollen wir nicht länger unwidersprochen mitmachen und wollen diesen Verhältnissen in denen wir leben entgegenwirken. Wir möchten Räume erschaffen, in denen es keine Geschlechterhierarchien gibt und Frauen* sich trauen, ja sogar gefordert werden, zu sprechen. Wir möchten ein sicheres Umfeld erleben, in dem Frauen* sich ermutigt fühlen ihre Komfortzone auch mal zu verlassen und daran wachsen können.

Um uns Räume zurück zu erkämpfen, ist es wichtig sichtbar zu sein – so wie wir heute hier zusammen. Heute nehmen wir uns einen Teil des öffentlichen Raums um zu verdeutlichen, dass wir die Situation für uns Frauen* so nicht mehr hinnehmen wollen. Zusammen stehen wir gegen die Verhältnisse, die uns unterdrücken ein, wir tauschen uns aus, diskutieren und solidarisieren uns miteinander. Es ist ein langer Weg, aber wir können hier und heute die ersten Schritte gemeinsam gehen!

Wir kümmern uns heute nicht um den Haushalt und nicht um die Sorgen anderer – Nein! Wir kümmern uns heute um uns, wir haben die Verhältnisse so satt und kümmern uns heute darum diese zu verändern!

Denn WENN FRAU* WILL, STEHT ALLES STILL!

Frauenkollektiv Stuttgart


 

Gehe ich heute Abend ins Kino, finde ich dafür jemanden, der oder die auf mein Kind aufpasst?

Räume ich die Wohnung auf oder gehe ich lieber spazieren?

Gehe ich auf die Demo in der Stadt oder muss ich arbeiten?

Liebe Genoss*innen, Liebe Frauen,

Wir alle kennen es – in allen möglichen Situationen gilt es zu entscheiden, wofür wir uns Zeit nehmen, was wichtig ist und Priorität hat und was an zweiter oder dritter Stelle steht. Dabei stellen wir immer wieder fest: wir Frauen* sollen den Laden am Laufen halten, uns Zeit nehmen und dabei unsere Bedürfnisse und Wünsche zurückstellen.

Aber wir wollen nicht, dass es so weiter geht! Deshalb sind wir heute hier und streiken! Wir streiken gegen die vielen Bereiche in unserem Leben, in welchen wir Frauen* diskriminiert sind – sei es bei der Lohnarbeit, in der Öffentlichkeit oder im familiären Umfeld. Wir sind im öffentlichen Raum nicht sicher, zum Beispiel aufgrund von sexistischen Beleidigungen und weil uns permanent Gewalt droht, das darf nicht sein! Wir streiken auch dagegen, dass wir weiterhin im Vergleich zu Männern 19% niedrigere Löhne erhalten. Und es stinkt uns, dass wir immer noch 80% der Reproduktionsarbeiten wie zum Beispiel Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und die Sorge um den anfallenden Haushalt machen. Diese Aufzählung könnten wir noch deutlich erweitern und das kann nicht sein! Wir sagen „es reicht“ – wir wollen dieses System nicht länger aufrecht erhalten!

Bei einem Blick auf unsere Wochenplanung ist klar: Die Lohnarbeit bestimmt bei den Meisten einen großen Teil des Alltags. Im Kapitalismus sind wir gezwungen lohnarbeiten zu gehen, wir verkaufen unsere Arbeitskraft, sodass andere Profit scheffeln können.
Reproduktionsarbeit: kochen, putzen oder Kindererziehung nimmt – vor allem bei uns Frauen* – einen großen Teil des Tages ein. Patriarchale Rollenzuschreibungen führen dazu, dass wir Frauen* uns um den Reproduktionsbereich kümmern sollen. Frauen* haben im System des Patriarchats Haus- und Sorgearbeit zu leisten, sodass sie dem arbeitenden Mann den Rücken freihalten können.
Kultur: Ins Theater oder zu einem Konzert zu gehen, sich mit kulturellen Angeboten im eigenen Stadtteil zu beschäftigen – auch selbst Kultur erschaffen; nicht alle haben hierfür überhaupt noch Zeit.
Politik: wir alle sollten die Möglichkeit haben, unsere Gesellschaft politisch mitzugestalten und mitzudenken. Doch tragen wir zum größten Teil nur die Folgen von politischen Entscheidungen anderer.

Diese Aufteilung zeigt, dass die Bereiche, in denen wir viel unserer Zeit verwenden, um für andere zu sorgen – sogar für andere mitzudenken -, viel mehr repräsentiert sind, als die Bereiche, in welchen wir uns bilden oder die Gesellschaft politisch gestalten. Denn das System, in welchem wir leben, gibt vor, wie wir einen großen Teil unserer Zeit zu gestalten haben.
Das wollen wir so nicht mehr hinnehmen, hier muss sich was verändern! Die Reproduktionsarbeit, Sorgearbeit sowie die komplette emotionale Arbeit muss gerechter verteilt werden!

Darum: Lasst uns eine Utopie entwickeln, wie wir leben wollen und dafür streiken! Denn wir wollen gemeinsam eine andere, bessere Gesellschaft aufbauen, in der die Ausbeutungsverhältnisse nicht einfach umgekehrt sondern aufgelöst und zerschlagen werden. Die Befreiung aus diesen Verhältnissen müssen wir in unsere Hände nehmen, dies wird niemand für uns tun. Es ist klar: das wird keine Sache von ein paar Monaten oder gar Tagen werden, Unterdrückungsformen wie das Patriarchat und der Kapitalismus werden nicht innerhalb von kurzer Zeit aufgelöst werden. Aber wir können daran arbeiten, dass die Utopie einer solidarischen Gesellschaft nicht eine Utopie bleibt sondern dass wir uns Schritt für Schritt, Aktion für Aktion in Richtung einer besseren Gesellschaft bewegen.

Und was können wir machen?
Einen Streiktag wie heute oder eine im Streik verbrachte Mittagspause, in der wir Arbeit an alle abgeben, damit deutlich machen, was geschieht, wenn wir nicht mehr alles regeln. Uns Zeit nehmen für Diskussionen und Austausch. Wir müssen anfangen, unseren Alltag, all die Unterstützung und Aufgaben, die wir übernehmen einmal zu hinterfragen. Warum kümmern wir uns um die Pflanzen im Büro? Warum denken wir an die Geburtstage im Freundes- und Familienkreis?

Es braucht Räume – im privaten wie im öffentlichen Bereich – in denen wir uns unter Frauen* gegenseitig empowern, bilden und vernetzen können und uns und unser Umfeld für die alltägliche Gewalt, sexistische Verhaltensweisen, die Diskriminierung von Frauen* im Arbeitsleben und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sensibilisieren. Wir müssen erkennen, dass wir innerhalb unserer Klasse die gleichen Unterdrückungen erleiden und von der gleichen strukturellen Ausbeutung betroffen sind. Gemeinsam und in Solidarität miteinander können wir uns unterstützen und bestärken und den Kampf um echte Gleichstellung und gegen die Unterdrückung von Frauen* im Alltag führen.

Lasst uns also hier und heute dafür streiken und streiten, lasst uns gemeinsam selbstorganisiert und solidarisch den 8. März und alle anderen Tage nutzen und uns gegenseitig unterstützen. Für eine Welt ohne Unterdrückung und Ausbeutung!

Zusammen Kämpfen Stuttgart

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