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Frauenkampf

Bericht zum Tag gegen Gewalt an Frauen: Ein Angriff gegen Eine ist ein Angriff gegen Alle!

Am Samstag, den 26.11. haben wir gemeinsam mit einigen anderen Gruppen eine Kundgebung am Stöckach zum Tag gegen Gewalt an Frauen gemacht. Ca. 100 Menschen waren mit uns auf der Straße um gemeinsam gegen patriarchale Gewalt gegen Frauen und weiblich gelesene Personen ein Zeichen zu setzen. Wir wählten den Stöckachplatz aus, da ganz in der Nähe vor einigen Wochen eine Frau auf ihrem Nachhauseweg vergewaltigt worden ist. Wir wollten diesen Ort patriarchaler Gewalt markieren. Es gab verschiedene Redebeiträge zu alltäglichem Sexismus und sexualisierter Gewalt sowie feministische Solidarität als Antwort, der Situation der Frauenrevolution im Iran, der Kampf der feministischen Bewegung in der Türkei und zu patriarchaler Gewalt in Krisenzeiten. Außerdem gab es eine Mitmachaktion, wo von patriarchaler Gewalt betroffene Personen ihre Erfahrungen auf einem Transparent hinterlassen konnten und außerdem was man alles machen würde, wenn es keine patriarchale Gewalt geben würde. Neben einem Aktionspavillon, mit Infomaterialien, Stickern, Büchern und tollen Magazinen von la fuchsia kollektiva, gab es eine Möglichkeit Taschen oder Tücher zu besprühen mit Zeichen des feministischen Widerstands. Den Flashmob „Der Vergewaltiger bist du“ aufzuführen war ein stärkendes Moment zum Abschluss. Wir führen unseren Kampf gegen Gewalt an Frauen an jedem weiteren Tag fort, denn ein Angriff gegen Eine ist ein Angriff gegen Alle!

Im folgenden dokumentieren wir die Redebeiträge des Frauenkollektivs Stuttgart (1) und von Zusammen Kämpfen Stuttgart (2):

Liebe Frauen und weiblich gelesene Personen, Liebe Kundgebungsteilnehmer*innen, liebe Passant*innen,

hier ganz in der Nähe wurde Mitte Oktober bei der Friedenskirche in Stuttgart-Ost eine 24-Jährige Frau von zwei Männern vergewaltigt. Sie war abends auf ihrem Weg nach Hause. Bis heute sucht die Polizei nach Zeug*innen und den Tätern. Dieser Übergriff war kein Einzelfall. Allein im Jahr 2022 berichtete die Stuttgarter Zeitung von insgesamt 237 sexualisierten Übergriffen und das Jahr ist noch nicht zu Ende.

Doch die Gefahr für einen Übergriff lauert nicht nur nachts im Dunkeln. Ständig müssen wir in den Medien davon lesen, dass wieder eine Belästigung stattgefunden hat und das zu jeder denkbaren Uhrzeit. Genau das haben wir satt! Das macht uns wütend! Wir sind heute hier um zu streiken und um darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen und weiblich gelesene Personen in unserer Gesellschaft häufig von Gewalt betroffen sind und wir uns das nicht gefallen lassen wollen. Denn welche Frau und als weiblich gelesene Person kennt es nicht? Auf dem Weg von der Party oder der Arbeit nach Hause den Schlüssel als Waffe in der einen Hand und das Handy in der anderen, um bei einem möglichen sexuellen Übergriff Freund*innen zu alarmieren.

Frauen und als weiblich gelesene Personen werden….

…. in ihrem Alltag bedroht, beschimpft, degradiert und nicht ernst genommen.

…. als unfähige menschliche Subjekte dargestellt, die es zu beschützen gilt.

…. ungefragt angefasst oder wie zufälligberührt.

…. im häuslichen Umfeld als Prellbock missbraucht, sowohl durch physische Schläge als auch durch psychischen Terror.

…. sexuell genötigt, missbraucht, vergewaltigt und ermordet.

Wir sagen NEIN zu Berührungen nach denen wir nicht verlangt haben, zu Schlägen die folgen, wenn keine Argumente mehr ausreichen und zu sexueller Nötigung, die wir eben nicht provoziert haben!

Sexualisierte Übergriffe und Vergewaltigungen müssen wir aber immer fürchten, es schwebt wie eine ständige Bedrohung über uns. Dadurch wird uns ein kollektives Gedächtnis antrainiert, das uns in unserem Handeln und Verhalten einschränkt. Fragen wie Was hast du angehabt?, „Hast du es nicht auch provoziert?“ oder Warum hast du diesen Nachhauseweg gewählt?“ implizieren immer, dass wir eine Teilschuld an Übergriffen und Belästigungen hätten. Doch die Gewalt gegen uns beginnt schon viel früher. Unsere Grenzen werden ständig überschritten und wir werden belächelt, wenn wir diese Grenzen einfordern und uns wehren. Wir werden nicht ernst genommen und gehört. Wir sind wütend darüber, dass Gewalt gegen Frauen so alltäglich ist und sie oft nicht mehr wahrgenommen oder als natürlich akzeptiert wird.

Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der wir keine Angst haben müssen, wenn wir nach Hause gehen. In der wir uns frei entscheiden können wann wir wo hingehen und was wir dabei tragen können. Wir wollen nicht bei jeder neuen Beziehung überlegen ssen ob wir einen guten“ Partner gefunden haben, der uns nicht schlägt oder übergriffig wird. Wir wollen frei sein vom Zwang uns und unseren Körper zu optimieren und zu schützen. Hierzu müssen wir erkennen, dass es sich dabei nicht um tragische Einzelschicksale handelt. Es geht um strukturelle Gewalt, die tief in unserer patriarchalen Gesellschaft verankert ist. Wir müssen die Solidarität unter uns Frauen aufbauen, um uns gegenseitig zu schützen, hinzusehen und zu reagieren. Wir wollen uns auch bei Angriffen und Beleidigungen wie zb. als Emanzen“ geltende Frauen unterstützen und gegenseitig stärken. Dabei fordern wir auch ein, dass Täter nicht mehr von der Gesellschaft geschützt werden und Übergriffe bagatellisiert werden.

Wir fordern ein, dass es nicht mehr hingenommen wird, dass sich Männer einfach herausnehmen können Frauen und als weiblich gelesene Personen als sexuelle Dienstleisterinnen oder als Besitztum anzusehen, sondern als gleichwertigen Menschen. Dazu müssen wir unsere Gesellschaft von Grund aus verändern, patriarchale Denkmuster und Handlungsweisen überwinden und die Unterdrückung der Frau beenden. Lasst uns daher zusammen ein starkes Zeichen gegen diese Alltäglichkeiten setzen. Lasst uns zusammen die Gewalt anprangern, egal ob sie hier in Stuttgart, in der Deutschland oder in sonst einem Land passiert.

Denn: Ein Angriff gegen eine ist ein Angriff gegen alle!


 

Liebe Genoss:innen, liebe Freund:innen, liebe Kundgebungsteilnehmer:innen,

wird es gesellschaftlich eisig, dann müssen sich Frauen* besonders warm anziehen. Sei es durch die seit 2019 immer noch andauernde Coronapandemie, die aktuelle Energiekrise, steigende Preise aufgrund der Inflation oder der seit Anfang des Jahres wütende Krieg in der Ukraine. Hierdurch sind viele Menschen vor die Tatsache gestellt, nicht zu wissen, wie sie durch den Winter kommen. All dies beschäftigt uns tagtäglich, macht Angst und hat Konsequenzen für alle.

Gewalt gegen Frauen passiert tagtäglich und scheint unhinterfragt als Naturgegebenheit hingenommen zu werden. Eingebettet in gesellschaftliche Strukturen, wie Beziehungs- und Familienkonstrukte, wird Gewalt gegen Frauen unsichtbar und somit nicht als spezielle Form der Gewalt gegen einen Teil der Menschen aufgrund ihres Geschlechts gesehen und benannt.

Gerade im Krieg ist sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen tagtägliches Geschehen: Vergewaltigungen werden als psychologische Kriegswaffe und Kriegsstrategie eingesetzt, die sich über Generationen traumatisch auf die Frauen sowie die Gesellschaft auswirken. Sind Frauen auf der Flucht, sind sie auch hier ohne jeglichen Schutz und ihnen drohen weiterhin sexualisierte Gewalt, Netzwerke der Ausbeutung oder des Menschenhandels.

Für den Alltag vieler Menschen bringen die steigenden Energiepreise und hohen Lebenshaltungskosten Existenzängste und Verzweiflung mit sich. Besonders Frauen in heterosexuellen Beziehungen werden aufgrund finanzieller Abhängigkeiten in klassischen Familienkonstrukten festgehalten und sind die Leidtragenden von gesellschaftlichem Druck. Auch Frauen, die nicht in heterosexuellen Beziehungen leben, sind von den Folgen einer patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und von dessen struktureller Gewalt enorm betroffen. Sie tragen die Teuerungen für Wohnraum und Nahrung z.B. als Alleinerziehende ¸überwiegend allein und können als Mutter und Frau selten auf einen gut bezahlten Job hoffen.

Blicken wir neben den ökonomischen Begebenheiten auf das Freizeit- und Nachtleben von Frauen, können wir sehen, dass Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt auch hier in Stuttgart für Frauen Alltag sind. In diesem Sommer versuchten drei Männer auf dem Stuttgarter Weindorf eine Frau zu vergewaltigen. In der Nähe der Haltestelle Neckartor wurde vor ein paar Wochen eine Frau auf ihrem Nachhauseweg von zwei Männern vergewaltigt. In Bad Cannstatt gab es im Sommer einen Femizid – eine Frau wurde von ihrem Ehemann ermordet. Diese Widerlichkeiten durch patriarchale Gewalt sind alltäglich. Eine gewisse Schuld wird in den meisten Fällen bei den Frauen gesucht: Die falsche Kleidung, der Rock zu kurz, die Uhrzeit zu spät oder der Ort zu dunkel.

Dass Frauen dafür gerügt oder mancherorts sogar getötet werden, wenn sie gegen solche unausgesprochenen bis hin zu gesetzlich verankerten patriarchalen Vorschriften verstoßen, hat uns die aktuelle Situation im Iran gezeigt. Mahsa Jina Amini wurde im September diesen Jahres von der Sittenpolizei in Teheran zu Tode geprügelt, da sie ihren Hijab nicht ordnungsgemäß getragen hat. In Zeiten eines Konglomerats dieser Begebenheiten, ist es für uns unabdingbar und wichtig, gegen diese Verhältnisse, die patriarchale Gewalt produzieren und reproduzieren, auf die Straße zu gehen. Wir sind es, die dem etwas entgegensetzen können. Die aktuellen sozialen Proteste im Iran, die auf den Tod von Mahsa Jina Amini entfacht sind, und die solidarischen Aktionen weltweit, zeigen, was es für eine Schlagkraft hat, wenn sich die Menschen erheben und solidarisch füreinander einstehen. Um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und die Systematik anzugreifen ist es wichtig zu sehen, dass diese Verhältnisse Folge gesellschaftlicher Entwicklungen sind. Die Ursachen für diese Missstande und Unterdrückung sind tief in der patriarchalen und kapitalistischen Systematik verankert.

Gewalt gegen Frauen als diese zu benennen und zu bekämpfen hat für uns immer oberste Priorität, da wir jeden Tag davon betroffen sind und herrschende Krisen sich auf diese Verhältnisse weiter auswirken und sie verschlimmern. Die scheinbare Naturgegebenheit von patriarchalen frauenunterdrückenden Gesetzen, Institutionen, Verhaltensweisen, Rollenbildern und Alltäglichkeiten muss hinterfragt und durchbrochen werden. Um diesen Weg einzuschlagen, wollen wir traditionelle Rollenbilder aufbrechen. Dazu zählt für uns ebenfalls die volle Wahlmöglichkeit eines gesellschaftlichen Lebens auch fernab geltender familiärer Modelle, in der die Frauen meist in der fürsorglichen Rolle nur für andere da sind und dies oft zur völligen Aufgabe ihrer selbst führt.

Wir nehmen die hiesige Politik, Unternehmen und Konzerne in die Pflicht. Die aktuelle Energiekrise darf nicht auf unserem Rücken ausgetragen werden. Wir fordern die Beseitigung gesellschaftlicher Regulierungen wie den Gender Pay Gap sowie die Aufhebung gesetzlich verankerter Abhängigkeit durch beispielsweise das Ehegattensplitting. Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Chancen, egal ob wir in einer Partner:innenschaft leben oder nicht. Wir betrachten feministische linke Kämpfe weltweit, beziehen uns aufeinander, lernen voneinander und stehen in Solidarität zusammen. Wir müssen patriarchale Gewalt als solche benennen, aufzeigen und hinterfragen. Die Verantwortlichen und die Täter müssen wir zur Rechenschaft ziehen und uns zur Wehr setzen. Wir wollen in Solidarität zusammen stehen uns gemeinsam bilden, vernetzen, stärken und diesem Normalzustand in den Weg stellen. Wir lassen uns das nicht mehr gefallen und wir sind damit nicht allein. Wir kämpfen für eine Gesellschaft fernab einer patriarchalen und kapitalistischen Ordnung. Wir stehen ein für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, in der Herrschaftsstrukturen durchbrochen sind und es keine Unterdrückung mehr gibt!

Zusammen Kämpfen gegen patriarchale Gewalt und kapitalistische Ausbeutung!

* Wir setzen das Wort für Frauen und Personen, die weiblich gelesen oder von der Gesellschaft zugeordnet werden und somit von patriarchaler Gewalt betroffen sind.

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